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Das neue Deutsche Reich von 1871 bis zur Gegenwart.
Daher hatten deutsche Kaufleute in Togo, in Kamerun, in Südwest-
afrtfa, in Sansibar, aus Samoa, Neu-Guinea und den Marschallinseln Handels-
Niederlassungen errichtet. Von zwei Seiten wurden diese Niederlassungen be-
kämpft, von den Eingebornen und den europäischen Kolonialmächten. Wegen
dieser Bedrängnisse wandten sich die deutschen Kaufleute um Schutz an die
Regierung und schlugen bor, die noch freien Gebiete, wo sich Deutsche nieder-
gelassen hätten, unter deutschen Schutz zu stellen oder als Kolonien zu er-
werben. Zu dem Notschrei der deutschen Kaufleute kam der Notschrei der
deutschen Missionare beider Bekenntnisse, die des Schutzes des Vaterlandes
entbehrten und die Früchte langjähriger Kulturarbeit durch Aufstände der
Eingebornen zerstört sahen. Der französische Kardinal Labigerie wies auf
die empörenden Sklabenjagden in Afrika hin.
Unter dem Druck dieser Gründe wurden 1884 zuerst die Besitzungen
der Bremer Firma Lüderitz in Südwestafrika unter den Schutz des Deutschen
Reiches gestellt, dann folgte die Besitzergreifung bon Kamerun und Togo,
bvn Deutschostafrika, die Besitzergreifungen in der Südsee: Neu-Guinea, der
Bismarck-Archipel, die Marschall-, Brown- und Probidenceinfeln. Im An-
fchlnß an diese Besitzergreifungen schloß die Reichsregierung Vereinbarungen
sowohl mit den freien Häuptlingen der Eingebornen als auch mit den benach-
harten Kolonialmächten England, Frankreich und Portugal über die Ab¬
grenzung der Kolonien und Jnteressenkreise. So entstanden die fünf oben¬
genannten Kolonialgebiete.
Jedes größere Unternehmen, zum Beispiel die Anlage eines Bergwerks,
erfordert ein bedeutendes Anlagekapital, das erst im Lause der Zeit
Gewinn abwirft. So auch der Erwerb bon Kolonien. Man berechnet, daß
das Deutsche Reich iu den 22 Jahren, wo es Kolonien besitzt, 700 Million Jb
dafür ausgegeben habe. In diesen 22 Jahren hat sich das deutsche National-
bermögen mindestens um 30000 Million Jb bermehrt. Die Ausgaben
betragen also nur 2 Prozent bon dem Zuwachs des deutschen National-
Vermögens während dieser 22 Jahre. Der deutsche Kaufmann kauft die Roh-
stoffe in den Kolonien auf und übergibt sie der heimischen Industrie zur
Verarbeitung. Dadurch gewinnen Tausende bon Arbeitern Lebensunterhalt
für sich und ihre Familien. Es gewinnt also nicht nur der Kaufmann,
sondern auch der Arbeiter. Durch die Einführung der landwirtschaftlichen
Maschinen sind biete Arbeiter in der Landwirtschaft überflüssig geworden.
Die Industrie hat ihnen eine neue und reichlichere Nahrungsquelle erschlossen.
Für 50 Million Jt> deutsche Jndustrieerzeugnisse werden zurzeit nach
unfern Schutzgebieten ausgeführt. So ist fchon unser heutiger Kolonialbesitz
ein wertvolles Absatzgebiet für das Mutterland geworden, und das Innere
der Kolonien ist noch nicht einmal dem Handel erschlossen. Es ist zu hoffen,
daß in der Zukunft das Anlagekapital reichlich berzinst wird. Denn die
Baumwolle gedeiht in Togo, in den höhern Lagen bon Kamerun, besonders
aber im Süden bort Deutsch-Ostafrika. Wir sind daher in Zukunft nicht
mehr auf die amerikanische Baumwolle angewiesen. Die Schafzucht in Süd-
westafrika liefert Wolle, reiche Erzlager besprechen einen ergiebigen Kupfer¬
ertrag. In Kamerun wird Kakao, in Ufambara Kaffee angepflanzt. Das
Neu-Guiueagebiet liefert Sago, Tabak und Baumwolle. Die großen Wald-
bestände in allen Kolonien besprechen eine reiche Ausbeute. Die geringe