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VII. Schluß.
1. Wiege und Sarg.
Ruhestätten giebt es gar viele im Leben; — wer kennt unter ihnen
nicht die zwei wichtigsten? Die eine steht an der Lingangsschwelle des
Lebens, die andere an dessen Ausgangsschwelle, verschieden, ja völlig
entgegengesetzt scheinen sie in ihrem Zwecke zu sein, und doch sind beide
einander nahe verwandt.
Aus Brettern ist die Wiege gezimmert; — so auch der Sarg.
Zm Walde stand einst ein Baum, von welchem die Bretter genommen
wurden, Frisch und grün streckte er seine Zweige aus, und schon
damals ruhte der müde Wanderer unter ihm. Endlich wurde der
Baum gesällt, sein Stamm zerschnitten und in friedlicher Werkstätte
verarbeitet. Line wiege vielleicht und ein Sarg zugleich entstanden aus
seinem Holze. Wiege und Sarg, — beide also wuchsen einst kräftig
und voll als Waldbaum oder als Gbstbaum, auf dessen Zweigen die
Vögel sangen. Beide wurden vom Frühlinge einst belaubt und vom
herbste entblättert. Beide wurden gefällt durch Axt und Sturm.
Und in beiden schläft der Mensch. Zn beiden giebt's Ruhe und
Frieden. Wie harmlos liegt der Säugling in der Wiege! Reine Not
sicht ihn an. Rein und ungetrübt ist der Fimmel seines Lebens. —
verhält sich's anders mit dem Sarge? Auch in ihm schläft der Mensch,
und auch hier trifft den Menschen kein Ungemach, keine Lrdennot.
Zwar ein anderer Schlaf ist's, als der Schlaf in der Wiege; denn jetzt
ist er eisern, traumlos und kalt! Aber sicher und geborgen doch hält
er den Schläfer.
Zn beide steigen wir nicht selbst. Ulan legt uns hinein. Denn
hülflos und schwach noch waren wir, als wir auf dem Schoße der
Mutter saßen, von ihr erlangten wir, was wir brauchten, auch die
Ruhe. Die Rkutter hob uns herab vom Arm und Schoß, sie legte
uns liebend und sanft in die Wiege. — Starr und bleich und gebrochen
an Rraft und Bewegung sind wir im Tode. Man legt uns hinein in
den Sarg; denn wir selbst können uns nicht betten.
Wiege und Sarg — an beiden wird geweint. Wer kennt nicht
die Thränen der Freude, die im Vater- oder Rlutterauge glänzen, wenn
es auf die Wiege des Rindes blickt? — Wer kennt nicht die Thränen
des Schmerzes, welche in dem Auge des Rindes glänzen, wenn es am
Sarge der Litern steht? Litern legen ihre Rinder in die Wiege, und
in der Regel legen die Rinder ihre Litern in den Sarg. Thränen
giebt's hier, wie da.
Wiege und Sarg, —an beiden wird gehofft. Za, Hoffnung regt
sich im Kerzen, süße Hoffnung leuchtet uns entgegen, wenn wir an der
wiege unserer Lieblinge stehen. Mit ihnen hoffen wir durchs Leben
zu gehen. Durch sie gedenken wir, ein reines Band zu knüpfen für
die Lrde, und Glück und Freude und Wonne zu finden. — Zm
Tode ist dieses Band zerrissen; aber wir hoffen und glauben mit Zu¬
versicht, es werde in des Fimmels Herrlichkeit sich wieder dauerhaft
knüpfen. Sie, diese Hoffnung, ist am Sarge unser Trost, unser Anker,
unser Rettungsstern.