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Der Vater sah es an und sprach: So recht mein Kind! Dem
Regen und Tan muß der Sonnenschein folgen. Der Strahl des
freundlichen Auges giebt der Wohlthat, welche die Hand reicht,
ihren Wert. — Dein Pflänzchen wird wohl gedeihen, Sophie!
Nun kamen die Blätter aus dem Schoß der Erde ganz hervor,
und glänzten mit lieblichem Grün. Da ward Sophiens Freude
noch großer. O, sagte sie aus überströmendem Herzen, ich will
auch wohl zufrieden sein, wenn keine Blüte kommt. Genügsame
Seele! — sprach der Vater. Dir wird mehr gegeben werden,
als du zu hoffen wagst. — Er zeigte ihr den Keim der Blume,
der zwischen den Blättern verborgen lag.
Sophiens Sorgfalt und Liebe wuchs mit jedem Tage, so wie
die Blume sich allmählich entfaltete. Mit zarten Händen sprengte
sie Wasser darauf, und fragte, ob es genug, oder zu viel, und
ob es wohl zu kalt sein möchte. — Und wenn ein Sonnenblick
durch die Fenster kani, dann trug sie leise wandelnd die Pflanze
hinüber in den Sonnenschein, und ihr Odem hauchte den Staub
von den Blättern, so wie ein Morgenlüstchen die Rose umhaucht.
Mit dem Gedanken an ihre Blume schlief Sophie am Abend ein
und erwachte mit ihm des Morgens. Mehrmals erblickte sie auch
im Traume ihre Hyacinthe in voller Blüte, und wenn sie dann
am Morgen noch nicht blühete und Sophie sich getäuscht sah, war
sie deshalb unbekümmert und sprach lächelnd: Es kann ja noch werden!
Zuweilen auch fragte sie den Vater, in welche Farbe wohl die
Blume sieb kleiden würde, und wenn sie alle Farben durchgangen
war, sprach sie mit fröhlicher Stimme: Es ist mir einerlei, wenn
sie blühet! Endlich blühete die Blume. Zwölf Glocken hatten sich in
der Frühe des Morgens geöffnet. Zwischen fünf breiten smaragd¬
grünen Blättern hingen sie hernieder in voller jugendlicher Schönheit.
Ihre Farbe war rötlich, gleich dein Widerschein der Morgen¬
röte oder dem zarten Dust auf Sophiens Wangen. Ein balsa¬
mischer Wohlgeruch umschwebte die Blume. Es war ein heiterer
Märzmorgen. Sophie konnte die Herrlichkeit nicht fassen. Ihre
Freude war still und ohne Worte. Sie lag vor der Blume auf
den Knieen und schauete sie an. — Da trat der Vater herzu und
sah sein geliebtes Kind und die blühende Hyacinthe an und ward
gerührt und sprach: Siehe, was dir deine Hyacinthe ist, das bist
du uns, Sophie!
Da sprang das Mädchen auf und umarmte den Vater, und
nach langer Umarmung sprach sie mit leiser Stimme: O, mein
Vater, könnte auch ich euch so erfreuen, wie sie mich erfreut hat!
4. Oob der Aster.
Lieb ist mir gar manche Blume, die in meinem Garten steht;
doch am liebsten mag ich weilen vor dem bunten Asterbeet.