Das Handwerk in der Gegenwart.
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Einfluß noch nicht ganz verschwuuden ist, das Handwerk leidet
vielmehr schwer durch die in seine Gebiete hinübergreifende In¬
dustrie und den Großbetrieb. Wirksame Hilfe kann daher in erster
Linie dem Handwerk nur werden, wenn es widerstandsfähig gegen
den Großbetrieb gemacht wird. Hierbei handelt es sich um Bildung
von Genossenschaften zur Erlangung von gemeinschaftlichem Roh-
stoffankauf, gemeinschaftlichem Verkauf der fertigen Ware, zur Be¬
schaffung von Hilfsmitteln und besserem Handwerkszeug. Zu all
diesem hat nun die Regierung die Anregung gegeben. Ferner hat
sich die Regierung bereit erklärt, zur Hebung der technischen
Leistungsfähigkeit der Handwerker Fach- und Fortbildungsschulen
in noch wirksamerer Weise zu unterstützen, als es bis jetzt ge¬
schehen ist. Nicht minder zeigte sich die Regierung bemüht, solche
Einrichtungen zu treffen, die geeignet sind, auf dem kunstgewerb¬
lichen Gebiete das Beste und Vollendetste zu sammeln, eine fort¬
dauernde Ausstellung von Mustern und Modellen zu veranstalten,
Muster in die verschiedenen Städte und Bezirke zu verschicken, um
dadurch eine Hebung auch des Geschmackes und Sinnes für voll¬
endete Formen zu schaffen.
Durch das neue Handwerkergesetz vom 26. Juli 1897 endlich
hat die Staatsregierung den Handwerkern in der Gründung von
Handwerkerkammern eine wirksame Vertretung ihrer Interessen bei
Maßnahmen der Gesetzgebung ermöglicht; in der Umgestaltung
des Innungswesens glaubt sie das Mittel gefunden zu haben, das
Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Handwerker zu heben, die
Standesehre und das Standesbewußtsein zu beleben, sowie die In¬
teressen aller Berufsstände im Handwerk zu fördern.
Sache der Handwerker selbst ist es nun, für ihre berechtigten
Interessen Mann für Mann einzustehen, sich zu Genossenschaften
zusammenzuschließen, die nicht nur Kapital, Kredit und billigen
Rohstoff liefern, sondern in denen auch der rechte Geist waltet,
nicht der kleinliche Zunftgeist der letzten Jahrhunderte, sondern
jener alte Zunftgeist, der nicht nur die materiellen Sonderinteressen
seines Standes wahrnahm, sondern auch für die hohem Ziele einer
großem Gemeinschaft Sinn und Verständnis hatte. Aber man
klammere sich nicht starrsinnig an den Gedanken an, Zustände und
Einrichtungen wiederherzustellen, für die unsre Zeit die Grundlagen
nicht mehr bieten kann; man blicke nicht unentwegt zurück auf
eine unwiederbringliche Vergangenheit, sondern schaue mit offenen
Augen wagemutig in die Gegenwart, lerne ihr innerstes Wesen
erkennen, ihre Eigenart verstehen und ertragen, lerne verschmerzen,
was sie nimmt, nützen, was sie Fördersames gewährt. Man halte
auf Fleiß, Redlichkeit und gute deutsche Sitte, auf alle Tugenden,
die einst den deutschen Gewerbestand groß und ehrwürdig gemacht
haben. Dann wird der Himmel der Zukunft wieder hell werden.
Nach Verschiedenen.