Von der künstlerischen Formgebung.
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nichts einzuwenden. Die Anwendung- der Pflanze als freie Endigung,
wie z. B. bei der gotischen Kreuzblume oder der griechischen
Palmette als Stirn- und Eckziegel, ist durchaus zu loben; solche
Pflanzen mehr als Stützen unter eine Last zu zwängen, wäre falsch und
geschmacklos. Dagegen ist die Verwendung der Volute (Schnecken¬
form) derjenigen einer schräg unter das Gebälk gestellten geraden
Strebe vorzuziehen, weil die Elastizität der Schneckenform den
Widerstreit zwischen der emporstrebenden Stütze und der nieder¬
drückenden Last wirksamer ausdrückt. Ein Gefäß, welches zum
Ausgießen, zum Trinken dient, muß sich oben erweitern, um schon
äußerlich seinen Zweck zu zeigen; dagegen muß ein Gefäß zum
Aufbewahren durch seine Form das Umschließen, Zusammenhalten
zum Ausdruck bringen und demnach ganz anders gestaltet werden.
Einem Zigarrenbecher aber gar die Form einer Lokomotive zu geben,
•«inen Anker oder eine Streitaxt als Thermometer auszubilden, einen
Pantoffel als Uhrenhalter zu benutzen, einen Postillonshut aus Por¬
zellan mit übergelegter Peitsche als Aschenbecher, einen Mohren¬
kopf als Gummiball oder einen Apfel als Sparbüchse oder Nadel¬
kissen zu verwenden, Tiere, deren Rücken man abdecken oder deren
Kopf man abnehmen kann, als Behälter für Bonbons, wohlriechendes
Wasser u. dgl. zu gebrauchen, Flaschen die Gestalt von Figuren,
Händen oder Pistolen zu geben — das alles sind Verirrungen, wie
sie nur einem gedanken- und geschmacklosen Erfinder begegnen
können. Vor solchen Torheiten kann nicht genug gewarnt werden.
Und wäre die äußere Form an sich auch noch so schön und edel
— sobald sie im Widerspruch mit dem Wesen des Gegenstandes
steht, trifft sie der Fluch der Lächerlichkeit.
3. Wie aber von der ganzen Form Übereinstimmung mit dem
Wesen des Dargestellten gefordert werden muß, so auch von dem
Ornament. Sehr geschmackvoll ist es, die Decke eines Saales als
Lufthimmel auszubilden und durch leichtes Lattenwerk, umschlungen
mit wildem Wein und umschwebt von Schwalben und Schmetter¬
lingen, die Wolken hindurchlugen zu lassen; aber falsch würde es
sein, dasselbe Ornament für einen Teppich oder für eine Fußboden¬
mosaik zu verwenden. Eine naturwahre Landschaft ist für eine
Innenwand ein geeigneter Schmuck, da sie einem Ausblick in die
Ferne nahe kommt; geradezu falsch aber ist ihre Verwendung an
der Außenseite des Hauses, da sie den Eindruck machen würde, als
läge die dargestellte Gegend in seinem Innern. Will man eine
Landschaft für Damast- oder Tüllgewebe verwenden, so sei sie
wenigstens farblos und ohne jede scheinbare Vertiefung, also nur
in Umrissen angedeutet. Lebenswahre Rosen und andere Blumen
in einen Teppich zu wirken, ist geschmacklos, ebenfalls ihre Ver¬
wendung als Verzierung für Fuß-, Sitz-, oder Rückenpolster. Hat
man doch das Gefühl, als zerdrücke man die lieblichen Gebilde der
Natur. Ebensowenig zeugt es von Geschmack, wenn man natur¬
wahre Blumensträuße oder Landschaften in Teller malt. Wer
möchte zugleich mit dem Braten solche Dinge mit Messer und Gabel
bearbeiten! Ein Schlafzimmer ist anders zu dekorieren als ein Tanz¬
saal, ein Arbeitsraum anders als ein Eßzimmer. Flächen, welche
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