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Die Renaissance.
geradlinigen Formen auch abwechselnd mit
dem Rundbogen auf. Die Verzierungen, be¬
sonders im Innern, zeigen sehr geschmack¬
volle Formen. Deutschland besitzt ein treff¬
liches Werk der besten Renaissance im
Otto-Heinrichsbau des Heidelberger Schlosses
(Fig. 47). In späterer Zeit aber artete die
Renaissance in Barock und Rokoko aus.
Bei ersterer erscheint alles Geradlinige ver¬
bannt ; man gefällt sich nur in geschwungenen,
krummen Linien, sogar im Grundriß; bei
letzterer tritt die Verzierung in schwülstiger
Überladung und üppigem Reichtum derart
hervor, daß die Formen und Gesetze der
Baukunst als untergeordnet und nebensäch¬
lich erscheinen (s. a. Seite 92).
Wie in der Baukunst, so wirkte das
neu erwachte Studium der Antike auch in
der Bildhauerei und Malerei ungemein för¬
dernd. In diesen Künsten hatte das Mittel-
alter fast nur Unzulängliches zu schaffen ver¬
mocht, da es eine gewisse Scheu fühlte, den
Körper nach der Natur zu studieren. Durch
die zahlreichen, aus dem Schutte der zer¬
störten Orte hervorgegrabenen Bildsäulen
und das Studium derselben wurde die An¬
schauung des Mittelalters umgeändert; man
sah ein, wie die kurz- und dünnbeinigen, lang¬
atmigen und großköpfigen Gestalten, die man
bisher gezeichnet, gemalt und gemeißelt, in
den Verhältnissen arg mißraten waren. Man
nahm auch hier die Alten, zugleich aber auch
deren Lehrerin, die Natur, zum Vorbild. Man
gab sich mit jugendlicher Begeisterung dem
Studium der Antike wie der Natur hin, zumal
feinsinnige Fürsten und kunstliebende Päpste
den Künstlern großartige Aufgaben stellten
und in freigebiger Weise die nötigen Mittel
zur Ausführung beschafften.
Es war ein glückliches Zusammentreffen,
daß Italien zu jener Zeit eine ungewöhnlich große
Zahl hochbegabter Männer hervorbrachte,
unter denen Bramante, von dem der Entwurf
der Peterskirche stammt, und Palladio als
Architekten, Michel Angelo Buonaroti als der
gewaltigste unter den Bildhauern , Rafael San-
zio, Lionardo da Vinci1) und Tizian als die be¬
deutendsten unter den Malern zu nennen sind.
i) spr. Wintschi.