Das Zunftwesen im Mittelalter. 
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wurde es früh allgemein Sitte, den Übergang der Hinterlassenschaft _ auf 
die Erben zu gestatten und nur einen Teil der Habe zn fordern. Dieses 
war das Buteil oder Sterbfallrecht, ein Teil des Nachlasses, womit die 
Hörigen die Erbschaft von dem Herrn loskauften. Aber nicht die Abgabe 
allein war es, die als Druck empfunden wurde; durch sie wurde Fleiß und 
Arbeitseifer gelähmt. Liegt ja doch der mächtigste Sporn zur An¬ 
strengung ttnd Sparsamkeit in der Aussicht, daß die Früchte 
der Tätigkeit einst den Hinterbliebenen unverkürzt zugute 
kommen. 
Diese drückenden Fesseln wurden den Städten zuerst von den deutschen 
Kaisern genommen. Letztere waren den Städten sehr verbunden; denn in 
dem großen Kampfe zwischen Papsttum und Kaisertum standen die Städte 
fast ausnahmslos treu zum Kaiser. 
Die Stadt Worms war es z. B., die Heinrich IV. in seinem Kampfe 
gegen Gregor VH. und gegen die Fürsten treulich unterstützte; seine sieg¬ 
reichen Heere bestanden fast nur aus Kaufleuten und Handwerkern. Für 
diese Treue belohnte sie der Kaiser. Heinrich V. hob dann, zunächst in den 
Städten Speier und Worms das Sterbfallsrecht, sowie andere Reste der 
Hörigkeit auf. In dem der Stadt Speier gegebenen Freibrief vom Jahre 1111 
heißt es: „Alle diejenigen, die gegenwärtig in der Stadt Speier wohnen 
oder künftig ihre Einwohner werden wollen (hörige Leute eines weltlichen 
oder geistlichen Herrn), werden von dem unnützen und ungerechten Gesetz, 
das man Buteil nennt, und wodurch die Stadt in Armut geraten ist, hiermit 
entbunden. Ebenso untersagen Wir hiermit, daß jemand, sei er hohen oder 
niederen Standes, Vogt oder Erbherr, sich unterstehe, von dem Hausrat eines 
Sterbenden irgend etwas an sich zu nehmen. Vielmehr sollen alle Ein- 
wohner freie Gewalt haben über ihr Eigentum und es ver¬ 
machen können ihren Leib es erben oder der Kirche um ihrer 
Seligkeit willen, oder wem sie sonst wollen." 
In Worms hob Heinrich V. im Jahre 1114 außer dem Buteil auch 
das Recht auswärtiger Hofherren auf, hörige Leute, die sich in dieser Stadt 
niedergelassen hatten und in eine Ehe getreten waren, zurückzufordern. So 
bildete sich nach und nach der förmliche Rechtssatz, daß die Stadtluft frei 
mache. 
In der letzten Hälfte des 12. und in der ersten des 13. Jahrhunderts 
wurde in den meisten Städten die Hörigkeit beseitigt. 
68. Das Zunftwesen im Mittelalter. 
Das 12. Jahrhundert erweckte die Zünfte. Die Zünfte und Innungen 
beruhen auf dem ganz natürlichen Bedürfnisse, daß Genossen ein und 
desselben Gewerbes, die innerlich verbunden sind durch ganz gleiche 
Verpflichtungen, durch gleiche Rechte, durch einen ganz ähnlichen 
Bildungsgang und durch ganz ähnliche Schicksale, sich auch äußerlich 
als Zusammengehörige darstellen, sich gegenseitig schützen und beauf¬ 
sichtigen. Aber es ist ein großer Unterschied, ob eine solche Verbindung 
von oben herab, vom ,,Herrn“ oder seinem Vogte, befohlen, bevormundet, 
mit Steuern belastet und nach Belieben aufgelöst wird, oder ob sie eine 
freie Genossenschaft ist. Jenes war bei der Innung der Fall, dieses 
kennzeichnet die Zunft. Die Innungen stammen aus den Zeiten hof* 
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