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der Bettler seinen Hunger und seinen Durst gestillt hatte, stand
er auf und ging von dannen, ohne zu danken oder auch nur vor
dern Könige sich zu verneigen. „Nun", fragte der König, „wie
gefällt euch dieser Mann?" — „Abscheulich!" riefen alle ein¬
stimmig, „wer kann so frech und unverschämt sein wie dieser Bett¬
ler?" Da erhob sichrer König und sprach mit großem Ernste:
„Gerade ihr konntet bis jetzt so frech und unverschämt sein wie
dieser Bettler. Ihr gleicht ihm genau. Alle Tage eßt ihr an dem
Tische des himmlischen Vaters und laßt euch seine Gaben schmecken;
aber ihr setzt euch wie dieser Bettler zu Tische, ohne zu bitten, und
geht hinweg, ohne zu danken. Schämt euch von ganzer Seele!"
Feuerrot schlichen sich die leichtsinnigen Jünglinge aus dem
Speisesaale und vergaßen nie mehr ihr Tischgebet.
Alle guten Gaben,
alles, was wir haben,
kommt, o Gott, von dir.
Dank sei dir dafür! Kellners Leseb.
7. Der Blinde und der Lahme.
1. Von ungefähr muß einen Blinden
ein Lahmer auf der Straße finden,
und gleich hofft jener freudevoll,
daß ihn der andre leiten soll.
2. „Dir", spricht der Lahme, „beizustehen?
Ich armer Mann kann selbst nicht gehen;
doch scheinüs, daß du zu einer Last
noch sehr gesunde Schultern hast.
3. Entschließe dich, mich fortzutragen,
so will ich dir die Wege sagen;
so wird dein starker Fuß mein Bein,
mein helles Auge deines sein."
4. Der Lahme hängt mit seinen Krücken
sich auf des Blinden breiten Rücken.
Vereint wirkt jetzo dieses Paar,
was einzeln keinem möglich war. —
5. Du hast nicht, was andre haben,
und andern mangeln deine Gaben:
aus dieser Unvollkommenheit
entspringet die Geselligkeit.
Geliert.