Full text: Lesebuch für Oberklassen

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Am Ende kamen sie vor den Richter. Beide beharrten auch 
hier noch auf ihrer Behauptung: der eine, daß achthundert Mark 
eingenäht gewesen seien, der andere, daß er von dem Gefundenen 
nichts genommen und das Päcklein nicht geöffnet habe. Der Fall 
war sehr schwierig. Aber der kluge Richter, welcher die Ehrlichkeit 
des einen und den schlechten Charakter des andern schon zu kennen 
schien, wußte sich zu helfen. Er ließ sich von beiden eine feste und 
feierliche Versicherung geben über das, was sie aussagten, und 
fällte hierauf folgendes Urteil: „Demnach, wenn der eine von 
euch achthundert Mark verloren, der andere aber nur ein Päcklein 
mit siebenhundert Mark gefunden hat, so kann auch das Geld des 
letztern nicht das nämliche sein, auf welches der erstere ein Recht 
hat. Du, ehrlicher Freund, nimmst also das Geld, welches bit 
gefunden hast, wieder zurück und verwahrst es gut, bis der kommt, 
welcher nur siebenhundert Mark verloren hat. Und dir da weiß 
ich keinen andern Rat, als du geduldest dich, bis derjenige sich ein¬ 
stellt, welcher deine achthundert Mark gefunden hat." So sprach 
der Richter, und dabei blieb die Sache. Nach Hebel. 
82. Man muss das Eisen schmieden, 
solange es warm ist. 
Kaltes Eisen läßt sich nicht schmieden. Nur in glühendem 
Zustande ist es weich und läßt sich leicht formen und verarbeiten. 
Der Schmied muß also, wenn er seinen Zweck erreichen will, 
gerade dann seine Arbeit vornehmen, wenn das Eisen glühend und 
weich ist. 
Wer im Leben einen bestimmten Plan ausführen will, der 
muß ebenfalls die geeignete Zeit dazu wählen und benutzen. Er 
darf aber dann keinen Augenblick säumen, sondern muß mit aller 
Kraft ans Werk gehen. Ist der geeignete Zeitpunkt vorüber, so 
läßt sich das Erstrebte manchmal nur sehr schwer, oft gar nicht 
mehr erreichen. 
Wer sich Tugend aneignen und Kenntnisse erwerben will, 
muß schon früh in der Jugend damit beginnen. Im Kindesalter 
ist das Herz weich und empfänglich für alles Gute; auch das Lernen 
geht leicht vonstatten. In reiferen Jahren wird es schon schwie¬ 
riger, oft sogar unmöglich. Ein Sprichwort sagt deshalb: «Jugend 
ist Saatzeit», und ein anderes: «Was Hänschen nicht lernt, lernt 
Hans nimmermehr.» 
Nach Sommer.
	        
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