Full text: Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen

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dringen, um beim fröhlichen Gelag dem aufgemunterten 
Steffen von der reichen Erbschaft des Weibes Bericht zu 
geben, und unter welcherlei Bedingungen er daran Ge¬ 
nuß und Antheil haben solle. Sie sah gegen Abend¬ 
zeit fleißig zum Fenster aus, ob Steffen käme, lief aus 
Ungeduld hinaus vor's Dorf, blickte mit ihren schwarzen 
Augen gegen die Landstraße hin, war bekümmert, warum 
er so lange weile, und da die Nacht hereinbrach, folgten 
ihr bange Sorgen und Ahnungen in die Bettkammer, 
ohne daß sie an's Abendessen gedachte. Lange kam ihr 
kein Schlaf in die ausgeweinten Augen, bis sie gegen 
Morgen in einen unruhigen, matten Schlummer fiel. 
Den armen Steffen quälten Verdruß und Langeweile im 
Ziegenstalle nicht minder; er war so niedergedrückt und 
kleinlaut, daß er sich nicht traute, an die Thür zu klopfen. 
Endlich kam er - doch hervor; pochte ganz verzagt an 
und rief mit wehmüthiger Stimme: Liebes Weib, er¬ 
wache und thue auf deinem Manne! Sobald Ilse seine 
Stimme vernahm, sprang sie flink vom Lager wie ein 
munteres Reh, lief an die Thür und umhalsete ihren 
Mann mit Freuden; er aber erwiderte diese herzlichen 
Liebkosungen gar kalt und frostig, setzte seinen Korb ab 
und warf sich mißmuthig auf die Ofenbank. Wie das 
fröhliche Weib das Jammerbild sah, ging's ihr an's 
Herz. Was plagt dich, lieber Mann? sprach sie bestürzt, 
was hast du? Er antwortete nur durch Stöhnen und 
Seufzen; dennoch fragte sie ihm bald die Ursach seines 
Kummers ab, und weil ihm das Herz zu voll war, konnt' 
er fein erlittenes Unglück dem trauten Weibe nicht länger 
verhehlen. Da sie vernahm, daß Rübezahl den Scha¬ 
bernack verübt hatte, errieth sie leicht die wohlthätige 
Absicht des Geistes und konnte sich des Lachens nicht 
erwehren, welches Steffen ihr bei muthigerer Gemüths- 
faffung übel würde gelohnt haben. Jetzt ahndete er den 
scheinbaren Leichtsinn nicht weiter und fragte nur ängst¬ 
lich nach dem Ziegenvieh. Das reizte noch mehr des 
Weibes Zwergfell, da sie merkte, daß der Hausvogt 
schon allenthalben umher spionirt hatte. Was kümmert 
dich mein Vieh? sprach sie, hast du doch noch nicht nach 
den Kindern gefragt; das Vieh ist wohl aufgehoben 
draußen auf der Weide. Laß dich auch den Tück von 
Rübezahl nicht anfechten und gräme dich nicht: wer 
weiß, wo er oder ein Anderer uns reichen Ersatz dafür 
gibt. Da kannst du lange warten, sprach der Hoffnungs-
	        
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