Full text: Hohenzollerisches Lesebuch für katholische Volksschulen

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167. Haigerloch. 
(Karl Theod. Zingele r.) 
Es wird wohl nicht leicht in Deutschland ein Ort zu finden 
sein, der eine so merkwürdige und malerische Lage hat und sü eigen¬ 
artig gebaut ist, wie das Städtchen Haigerloch. 
Wir müssen uns eine Hochebene denken, die durch eine ge¬ 
waltige Kluft halbkreisförmig auseinandergerissen wurde, so daß nun 
zwei sich gegenüberliegende Berge entstanden sind, die der Kluft zu 
mit schwindelerregender Steilheit abfallen. Auf und an diesen beiden 
Bergen nun liegen die Häuser. Von der Straße aus gesehen, sind 
die Häuser meist klein und niedrig, jedenfalls nicht auffallend groß 
und hoch. Geht man in die Häuser hinein und schaut vou den 
nach hinten gelegenen Fenstern hinaus, so schaut man berghoch 
hinab. Durch die Kluft strömt die Eyach, ein Nebenfluß des 
Neckars, meist nur ein kleines unscheinbares Flüßchen, oft aber auch 
zum wilden Gebirgsstrom angewachsen, dessen Brausen und Toben 
das Echo der ihn einschließenden steilen Bergwände weckt, die den 
dumpfen Schall nach oben fortpflanzen bis in die Zimmer der über 
ihnen hangenden menschlichen Wohnungen. Am 4. und 5. Juni 
1895 schwoll die Eyach durch zwei Wolkenbrüche so furchtbar an, 
daß sie um Balingen her großen Schaden an Gebäuden und Vieh 
anrichtete. Den gewaltigen Wasserfluten fielen auch an vierzig 
Menschen zum Opfer, die zum Teil bis in die Gemarkung Haiger¬ 
loch geschwemmt wurden. — In Haigerloch gibt es keine vollständig 
ebene Straße. Die Hauptstraße ist so steil, daß man sie kaum be¬ 
fahren kann, stets aber starke Bremsvorrichtungen beim Hinunter¬ 
fahren geboten sind. Wollen die Bewohner des Stadtteils bei der 
Rathausbrücke über die Eyach in die auf dem rechten Ufer liegende 
Stadtkirche, so haben sie, bei einer Luftlinie-Entfernung von 1 bis 
2 Minuten, 70 m zu steigen, und möchten sie zur Abwechslung in 
der reizenden St. Annakirche auf der Höhe des linken Ufers ihre 
Andacht verrichten, so gilt es, bei nur höchstens 3 Minuten Luft¬ 
linie-Entfernung, noch einige Meter mehr zu klettern. Haigerloch 
ist ein Gebirgsstädtchen im vollsten Sinne des Wortes, das zwar 
nur 1300 Einwohner zählt, aber durch seine stattlichen Bauten wie 
das Schloß, vier Kirchen, einen hochragenden „Römerturm" einen 
weit bedeutenderen Eindruck hervorruft. Ob Haigerloch schon zur 
Römerzeit gestanden, ist trotz seines „Römerturmes" sehr fraglich. 
Das Schloß ist ein weitausgedehntes Gebäude und stammt 
hauptsächlich aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, während das 
Innerem späterer Zeit umgeändert wurde. Es wirkt in seiner schönen 
hohen Lage um so mehr, als sich die Hauptkirche der Stadt un¬ 
mittelbar an die weitläufigen Schloßbauten anschließt. Die jetzige 
Kirche wurde im Jahre 1584 begonnen, im Jahre 1607 vollendet 
und später mit sehr reichen Wandbekleidungen und Deckengemälden 
geschmückt.
	        
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