Gallus ward um das Jahr 550 geboren und stammte aus
einem edlen Geschlechte Irlands. Er wurde frühzeitig zum
Dienste des Herrn bestimmt und dem hl. Kolumban übergeben,
durch den er den besten Unterricht erhielt, den die damalige
Zeit zu bieten vermochte. Er machte unter Kolumbans Leitung
in Wissenschaft und Frömmigkeit so erfreulichen Fortschritt,
daß ihn dieser zum Priester weihen ließ und ihn mit anderen
Brüdern auf seine Missionsreise nach Gallien mit sich nahm.
Später kamen beide nach der Schweiz und ließen sich am
Züricher See nieder. Von hier vertrieben, gelangten sie an den
südlichen Bodensee in die Nähe des heutigen Bregenz und
fingen auch dort an, das heidnische Volk zu lehren. Nach
zwei oder drei Jahren trennten sich die beiden rüstigen
Missionare. Kolumban zog über die Alpen nach Italien, Gallus
aber beschloß, irgend in der Wildnis eine kleine Ansiedelung
zu gründen, um daselbst im Dienste Gottes seine Lebenstage
zu enden.
Mit Unterstützung des Alemannenherzogs Gunzo, dessen
Tochter Gallus durch Gebet und Händeauflegung von schwerer
Krankheit befreit hatte, legte er in dem rauhen und wilden,
von dichtem Wald umfangenen Steinachtal für sich und die
Brüder eine Siedelung an. Mit Mut und Vertrauen gingen die
Männer ans Werk; sie errichteten aus Baumrinden und Moos
einige Hütten und Zellen und teilten die Zeit zwischen Arbeit
und Gebet. Das war der unscheinbare Grund des nachmals
so berühmten, um Religion und Wissenschaft so hochverdienten
Klosters St. Gallen. Bald erhoben sich bessere Gebäude zum
Gottesdienst und zur Wohnung der Brüder. Noch mehr als
zehn Jahre wandelte Gallus mit dem liebenden und sorgenden
Ernst eines Vaters unter den Brüdern und leitete als Abt das
schnell aufblühende Kloster. Er schaffte und wirkte mit Klug¬
heit und Umsicht, er wußte Ernst und Güte zu verbinden und
sie nach Umstand und Zeit zu gebrauchen in gleichmäßigem,
festen Regiment. Die Mönche jener Zeit glichen den jetzigen
Ansiedlern in Amerika: sie entwilderten das Land, sie lichteten
das düstere Dunkel der Wälder durch den Aushau tausend¬
jähriger Bäume, sie fällten das zahlreiche Raubwild, rissen das
harte Erdreich mit Spaten und Pflug auf, zogen Dämme und
Gräben, zügelten Herden, fertigten sich selbst den Bedarf von