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schlechte Einvernehmen der christlichen Konfessionen unter¬
einander.
Wir besuchen zuerst die den Franziskanern allein gehörige
hübsche Katharinenkirche, der Geburtskirche parallel laufend,
nur weiter nach Osten gerückt und viel kleiner. Dann zündet
man uns Lichter an, und ein Bruder führt uns im rechten
Seitenschiff eine vielstufige Treppe hinab durch enge, ganz
finstre, mehrmals sich wendende Felsengänge. Den Endpunkt
bildet eine tiefliegende, geräumige, aus dem Felsen gehauene
Kapelle, die Gebetkammer des hl. Hieronymus, der die letzten
34 Jahre seines Lebens in Bethlehem zubrachte und hier be¬
kanntlich die Vulgata (lateinische Bibelübersetzung) fertigte. Ein
weitrer unterirdischer Raum heißt Kapelle der unschuldigen
Kinder, weil einer Legende nach hier das Schwert der Sol¬
daten noch einige Kinder erreichte, welche ihre Mütter versteckt
hatten; dann eine Grotte, in welcher St. Joseph den Befehl zur
Flucht empfangen haben soll. Noch ein finstrer enger Gang,
dann — tritt ehrfürchtig auf, hier ist heiliger Boden — eine
größere Felsengrotte, vom gedämpften Licht der Silberlampen
geheimnisvoll erhellt, ganz mit rotem Seidendamast ausgeschlagen,
12 m lang, 4 m breit, 3 rri hoch. An ihrem Ostende ein
Altärchen, unter der Altarplatte am Boden eine weiße Marmor¬
tafel, beständig bestrahlt von 15 silbernen Lämpchen; in die
Tafel ist eingelassen ein silberner Stern und die lateinische
Umschrift: Hier wurde aus Maria der Jungfrau Jesus
Christus geboren.
Und nun wollen wir die Grotte genauer in Augenschein
nehmen. Sie ist ein unregelmäßiges längliches Rechteck mit
einer südlichen Ausbuchtung, in welcher die Stelle der Krippe
sich befindet und ein Altar an dem Platz, wo die drei Weisen
angebetet haben. Rechts und links vom Geburtsaltar führen
Stufengänge in die Oberkirche, die schon vom Kaiser Konstan¬
tin um das Jahr 330 erbaut wurde. Und diese Kirche steh!
heute noch; wir müssen gehen, sie zu besichtigen. Ein letzter
langer Scheideblick , der das Bild der Grotte unverlierbar der
Seele einprägt, dann die Stufen hinan. In dem majestätischen
fünfschiffigen Raume der konstantinischen Kirche mit
ihren 40 Säulen gibt sich das Herz der vollen Freude hin
darüber, daß es dem Kinde von Bethlehem gefallen hat,
mit seiner kleinen allmächtigen Hand in den vielen Kriegen
und Umwälzungen diesen urchristlichen Bau zu beschützen, so
daß nie die Stätte seiner Geburt des schirmenden Gehäuses
entbehrte. Es ist der einzige Bau der alten Kirche, der auf
palästinensischem Boden fast in der ursprünglichen Gestalt sich
erhalten hat; die ganze Kraft und Gesundheit des Glaubens
und Lebens jener Kirche tritt uns in seinem markigen Aufbau
entgegen.