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Napoleons Herz blieb ungerührt; finster und stolz fragte er die
Königin: „Wie konnten Sie auch nur einen Krieg mit mir an¬
fangen?" Da erwiderte ihm Luise mit Würde: „Es war Preußen
erlaubt, ja es war uns erlaubt, uns durch den Ruhm Friedrichs
über die Mittel unsrer Macht zu täuschen, — wenn wir uns über¬
haupt getäuscht haben!" Und die wahrhaft deutsche Frau hatte sich
nicht getäuscht, daß sie auf den Geist des Volkes baute. Nur darin
hatte sie sich getäuscht, daß sie von Napoleons Edelmut etwas hoffte.
Preußen verlor alle Länder Zwischen der Elbe und dem Rhein,
außerdem die polnischen Länder mit der Stadt Danzig, welche für
eine freie Stadt erklärt wurde. Das polnische Land wurde zu einem
Großherzogtum Warschau erhoben und kam zum größten Teil an
den König August von Sachsen; einen Teil von Preußisch-Polen
erhielt Rußland. Aus den Ländern zwischen dem Rhein und der
Elbe, aus .Hannover, Braunschweig, Hefsen-Kaffel schuf Napoleon
das Königreich Westfalen für seinen jüngsten Bruder Hieronymus.
So stand jetzt ein kleines Frankreich im Herzen von Deutschland,
und fremde Tyrannen geboten in dem Lande Hermanns und dem
Ursitze der Sachsen.
246. Königin Anise.
(Nach Rul. Ehlert.)
Der gute Engel Preußens war in der Zeit der tiefsten Er¬
niedrigung die Königin Luise.
Je tiefer ihr Herz unter der
Wucht des eisernen Verhängnisses
gebeugt wurde, desto erhabner
richtete sich ihr Geist auf, und
während ringsum alles den Kops
zu verlieren schien, war es das
ursprünglich so weich geschaffne
Gemüt Luisens, ivelches fast allein
noch festen Mut offenbarte, noch
sichern Glauben hielt.
Mit Würde trat sie dem
französischen Gewalthaber in Tilsit
gegenüber, ihre Vorstellungen aber
blieben fruchtlos. Nur eines
tröstete sie: daß ihr Gemahl sich in
jeder Beziehung würdig gezeigt habe
und größer als sein Widersacher.
Die eheliche und häusliche Innigkeit des hohen Paares wurde
durch das Unglück nur befestigt. „Du, liebe Luise, bist mir im Un-