116
sich, um das Joch des französischen Zwingherrn abzuwerfen. Den An¬
sang mit dem Abfall machte der preußische General Jork, ein schroffer,
strenger Mann, aber ein warmer Vaterlandsfreund. Er befehligte die
Armee, welche Preußen gegen Rußland hatte stellen müssen. Als das fran¬
zösische Heer ans dem Rückzug der Vernichtung anheimgefallen war, schloß
Jork mit dem russischen General Diebitsch einen Vertrag, in welchem er
sich verpflichtete, neutral zu bleiben. Friedrich Wilhelm III., der in Berlin
von französischen Spionen und Soldaten umgeben war, mußte das Ver¬
halten Jorks öffentlich mißbilligen. Im geheimen unterhandelte der König
- aber mit dem russischen Kaiser, den der patriotische Stein für die Fort¬
setzung des Krieges zu gewinnen wußte. Alexander schloß ein Bündnis
mit dem preußischen Könige; er versprach, mit seinen Truppen die Weichsel
zu überschreiten. Friedrich Wilhelm verließ Berlin und ging nach Breslau,
wo er in dem berühmten Aufruf „An mein Volk" seine Untertanen auf¬
forderte, die Waffen gegen Napoleon zu ergreifen. Am Geburtstag der
unvergeßlichen Königin Luise hatte der König den Orden des Eisernen
Kreuzes für hervorragende Tapferkeit gestiftet. Der Aufruf „An mein Volk"
zündete bei der ganzen Nation und bewirkte einen Kampfesmut und eine
Opferwilligkeit, wie in der Geschichte nur wenig Beispiele bekannt sind.
Außer Ernst Moritz Arndt, wußten auch Theodor Körner, Rückert
und Schenkeudorf durch ihre Gedichte die Begeisterung für den „heiligen
Krieg" anzufachen. Körner ries dem Volke zu:
„Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen
Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht!
Du sollst den Stahl in Feindesherzen tauchen.
Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen;
Die Saat ist reif, — ihr Schnitter, zaudert nicht!"
Alles eilte zu den Waffen; das ganze Land glich einem Kriegslager.
Sogar Mädchen nahmen in Männerkleidern an den Kämpfen teil. Das
kleine Preußen stellte ein Heer von 270000 Mann; ans je 17 Ein¬
wohner kam ein Soldat. Wer nicht in den Krieg ziehen konnte, gab von
seiner Habe ein Scherflein; wer kein Geld hatte, brachte von seinem Schmuck:
Eheringe, Ketten, Ohrgehänge. Junge Mädchen verkauften ihr Haar, um
den Erlös auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern.
3. Die Völkerschlacht bei Leipzig (1813). Napoleon hatte ans Fran¬
zosen und Rheinbundtruppen ein Heer von 120000 Mann zusammengebracht,
mit dem er die vereinigten Russen und Preußen zuerst bei Großgörschen
in der Nähe von Lützen und dann bei Bautzen schlug. Trotz seiner Siege
erreichte er jedoch keine Vorteile, weshalb er unmutig ausrief: „Solche
Schlächtereien — und doch keinen Erfolg!" Weil Napoleon große Ver¬
luste erlitten hatte, bot er den Verbündeten einen Waffenstillstand an.