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72 IV. Sagen.
rings war sie mit roten und weißen Schilden bedeckt, Helle Flammen
umschlossen sie rings wie ein Wall, zum Himmel auflodernd. Sigurd
sprengte kühn durch den Flammenwall, trat in die Schildburg und
fand darin einen Mann, wie es schien, in voller Rüstung, der schlief.
Er zog ihm zuerst den Helm vom Haupte; da gewahrte er, daß es
ein Weib war. Fest saß die Brünne (Panzer) an ihrem Leibe, als
wäre sie ins Fleisch gewachsen. Da ritzte Sigurd mit seinem guten
Schwerte Gram die Brünne durch und zog sie ihr ab. Sie erwachte,
setzte sich aufrecht, sah Sigurd an und sprach: „Was zerschnitt mir
die Brünne? Wie kam ich aus dem Schlaf?" — Er antwortete:
„Sigurd, Siegmunds Sohn, bin ich; mein Schwert zerschnitt dir die
Brünne." — Sie sagte: „Lange schlief ich, lange war ich in Schlummer
versunken, lange sind der Menschen Übel. Odin waltete dessen, daß
ich nicht vermochte, die Schlummerrunen abzuschütteln" (aus dem
durch die Runen bewirkten Zauberschlafe zu erwachen). — Sigurd
setzte sich nieder und fragte sie nach ihrem Namen. Da nahm sie ein
Horn voll Mets und bot ihm den Willkommtrunk. Sie sprach: „Heil
dir, Tag! Heil euch, Tagessöhne! Heil dir, Nacht! Schauet mit
unzornigen Augen auf uns beide hier und gebet uns Heil und Sieg!
Heil euch. Asm! Heil euch, Asinnen! Heil dir, du allnährende Erde!
Rede und Weisheit gebet uns zwei Edlen und heilkräftige Hände, so¬
lange wir leben!" — „Brunhild", fuhr sie fort, „nennt man mich;
einst war ich Walküre. Zwei Könige kämpften miteinander: der eine
hieß Hialmgunnar (Helmgünther); er war alt und der größte Heerfürst,
und Odin hatte ihm Sieg verliehen; der andere hieß Agnar, der be¬
kam mich in seine Gewalt, und ich mußte Eide schwören, ihm Sieg
zu verleihen. So ließ ich den alten Hialmgunnar zur Hel fahren und
gab dem jungen Agnar den Sieg. Darüber ward mir Odin über¬
zornig. Mit dem Schlafdorn stach er mich zur Rache dafür und ver¬
wehrte mir, ferner als Walküre Sieg zu erkämpfen; einem Manne
sollte ich mich vermählen. Ich aber erklärte, ich hätte gelobt, mich
keinem Manne zu vermählen, der sich fürchten könnte. Odin umschloß
mich mit Schilden und ließ rings um meine Burg wabernde Lohe
aufflammen. Dem gebot er meinen Schlummer zu brechen, der Furcht
nicht kenne; der Degen allein sollte durch die Lohe reiten, der mir das
Gold darbrächte, das unter Fafnir lag." — Sigurd bat sie, ihn Runen
zu lehren, da sie die Mären aus allen Welten wisse; da lehrte sie ihn
mancherlei Runen. Bezaubert von ihrer Schönheit und Weisheit, sagte
Sigurd: „Kein Mann ist zu finden, der weiser wäre als du, und das
schwöre ich, daß ich dich haben will zum Weibe; du bist nach meinem
Sinn." — Brunhild entgegnete: „Dich will ich am liebsten haben,
hätte ich auch zu wählen unter allen Männern." Darauf leisteten