Full text: Lehr- und Lesebuch oder die Vaterlands- und Weltkunde

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auf dem Verdecke, schlief nur wenige Stunden und zeichnete auch das kleinste 
Ereigniß auf. Wo er Angst und Traurigkeit bemerkte, da redete er freundlich 
zu, die Murrenden heiterte er mit Versprechungen auf. Der Wind blies immer 
stärker und die Schiffe flogen wie Pfeile dahin. Am 1. Oktober waren sie schon 
707 Seemeilen von ihrer Heimath entfernt. Ihre Angst wuchs von Stunde zu 
Stunde. Da zeigte sich Ihnen ein Hoffnungsstrahl. Ein ganzer Schwarm Vögel 
setzte sich auf ihre Masten nieder. Aber sie wußten noch nicht, daß die Seevögel 
viele hundert Meilen weit fliegen können. Einige Tage später war die See mit 
grünem Meergrase bedeckt, so daß die Schiffe in ihrem Lauf fast aufgehalten 
wurden. Aber Gras und Vögel verschwanden wieder, und die Armen sahen sich 
aufs neue auf dem weiten öden Ocean allein. Da brach unter der Mannschaft 
Aufruhr los; einige faßten sogar den verruchten Gedanken, den Columbus, wenn 
er sich weigere, zurückzukehren, über Bord zu werfen. Columbus stellte sich, 
als ob er ihre meuterischen Absichten gar nicht merke, und es gelang ihm noch¬ 
mals, sie zu besänftigen; er erklärte, daß er mit seinen bisherigen Fortschritten 
zufrieden sei und gewisse Hoffnung habe, sein Ziel bald zu erreichen. 
Vögel erschienen und verschwanden wieder; die Sonne ging auf und unter, 
und die Schiffe flogen noch immer pfeilschnell nach Westen. Die Angst der 
Schiffsleute verwandelte sich in Verzweiflung, und sie erklärten, daß sie nicht 
weiter wollten. Da entfaltete Columbus die ganze Kraft seines Geistes. Mit 
Festigkeit erklärte er ihnen, es sei Alles umsonst; er werde von dem Unternehmen 
nicht abstehen, bis er mit Gottes Hülfe Indien gefunden habe. — Schwer¬ 
lich aber würde er im Stande gewesen sein, die verzagte meuterische Rotte noch 
länger im Zaume zu halten, wenn sich nicht am folgenden Tage bestimmtere 
Spuren von der Nähe des Landes gezeigt hätten. Rohr und ein Baumast 
mit rothen Beeren schwammen auf sie zu und sogar einen künstlich geschnitzten 
Stab fischten sie auf. Die Sonne war eben untergegangen. Columbus befahl, 
sorgfältige Wache zu halten, um nicht etwa bei Nacht auf Klippen zu stoßen. 
Dem, welcher zuerst Land erblicken würde, versprach er eine große Belohnung. 
Die größte Aufregung herrschte auf den Schiffen; kein Auge schloß sich. Zwei 
Stunden vor Mitternacht erblickte Columbus ein Licht von ferne. Der Schim¬ 
mer war vorüberschwindcnd und ungewiß; aber Columbus betrachtete ihn als 
eine sichere Bürgschaft des Landes, und wirklich erscholl um 2 Uhr des Morgens 
(am 12. Oktober) von einem andern Fahrzeuge ein Kanonenschuß, — und 
„Landl Land!" erscholl es jetzt aus jedem Munde. Man stürzte einander in 
die Arme, und nach der ersten Trunkenheit des Entzückens stimmte man mit 
innigster Andacht das Te Denm (Herr Gott, dich loben wir) an. Als der 
Morgen anbrach, sah das Schiffsvolk — eine schöne grüne Insel vor sich liegm. 
Columbus, in einem reichen Kleide und den bloßen Degen in der Hand, 
stand an der Spitze des ersten Bootes, welches ans Land stieß. Ihm folgten 
die andern, und in dem unaussprechlichen Gefühle des glücklich geretteten Lebens, 
nach mehr als 40tägiger Todesangst, warfen sie sich Alle nieder, küßten mit 
Inbrunst die sichere Erde, errichteten dann ein Kreuz und stammelten vor dem¬ 
selben ihre frommen Gebete. Sie drängten sich in ihrer Begeisterung um den 
Admiral, küßten ihm die Hände und thaten Alles, um dem Manne, dessen Leben 
sie vor einigen Tagen noch bedroht hatten, die größte Ehrfurcht und Dankbarkeit 
zu bezeigen. 
Columbus nahm die Insel unter den üblichen Formen und Feierlichkeiten für die 
spanische Krone in Besitz. Sie führte den Namen Guanahani; der Entdecker 
nannte sie San Salvador (heiliger Erlöser). Columbus war wirklich der 
Meinung, an einer zu Indien gehörigen Insel angelangt zu sein, und erst spät 
überzeugte man sich davon, daß man einen neuen Crdthcil entdeckt habe. Dieser 
Irrthum veranlaßte auch, daß m-an die Eingebornen Indianer nannte; und erst 
später unterschied man die hier liegenden Inseln durch den Namen Westtndien vom 
alten und von jetzt an Ostindien genannten Indien. Er entdeckte bald noch 
größere Inseln, wie Cuba, Haity; die Küsten zeigten ihm überall einen Reich-
	        
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