Full text: Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands

268 
28. Luther im „Schwarzen Bären" vor Jena. 
der Hand geben, daß ich diese Sprache verstünde." Antwortete er: „Ihr mögt 
sie wohl begreifen, wenn Ihr anders wollt Fleiß anwenden; ich begehre sie 
auch weiter zu lernen und übe mich täglich darin." 
Nach einer kleinen Weile rief mich der Wirt zur Thür hinaus. Ich 
erschrak und bedachte mich, was ich verunschickt habe. Da sprach der Wirt zu 
mir: „Dieweil ich erkenne, daß Ihr den Luther zu hören und zu sehen begehrt, 
so wisset: der ist's, der bei Euch sitzt." Ich hielt dies für Spott und ging 
wieder in die Stube, setzte mich und raunte meinem Gesellen zu: „Der Wirt 
hat mir gesagt, der sei der Luther." Er wollte es auch, wie ich, nicht recht 
glauben und sprach: „Er hat vielleicht gesagt, es sei der Hutten, und hast ihn 
nicht recht verstanden." Dieweil mich nun die Reiterkleidung mehr an den 
Hutten, denn an den Mönch Luther, gemahnte, so ließ ich mich bereden, der 
Wirt hätte gesprochen, es sei Hutten, denn der Ansang beider Namen klang 
säst zusammen. Derhalben, was ich nun redete, sprach ich, als ob ich mit 
Herrn Ulrich von Hutten spräche. 
Mittlerweile kamen zwei Kaufleute, die auch da übernachten wollten, und 
nachdem sie sich entlediget, legte einer neben sich ein ungebunden Büchlein. 
Fragte Martin, was es für ein Buch wäre. Sprach er: „Es ist Vv. Luthers 
Auslegung etlicher Evangelien und Episteln, erst neugedruckt; habt Ihr sie nie 
gesehen?" Sprach Martin: „Sie sollen mir auch bald werden." Da rief der 
Wirt: „Nun füget Euch zu Tische, wir wollen essen." Wir aber baten den 
Wirt, er möge uns etwas besonders geben; denn wir fürchteten die Zeche. Da 
das Martinus hörte, sprach er: „Kommet herzu, ich will die Zehrung mit den: 
Wirt wohl abtragen." 
Unter dem Essen that Martinus viel gottselige, freundliche Reden, daß 
die Kaufleute und wir mehr seiner Worte, denn aller Speisen wahrnahmen; 
er sei der Hoffnung, sagte er, daß die evangelische Wahrheit mehr bei unsern 
Kindern und Nachkommen Frucht bringen werde, als an den Eltern, in welchen 
die Irrtümer eingewurzelt seien, daß sie nicht leicht ausgereutet werden. 
Danach sprach der ältere von den Kaufleuten: „Ich bin ein einfältiger 
Laie und versteh' mich auf die Händel nicht besonders. Das aber- sag' ich: wie 
mich die Sach' ansieht, so muß der Luther entweder ein Engel vom Himmel 
sein oder ein Teufel aus der Hölle. Ich möcht' ihm wohl beichten; denn ich 
glaub', er könnte mein Gewissen wohl unterrichten." 
Da kam der Wirt neben uns. „Habt nicht Sorge für die Zehrung", 
sagte er heimlich, „Martinus hat das Nachtmahl für Euch ausgerichtet." Dies 
freute uns sehr, nicht des Geldes und Genusses wegen, sondern daß er uns 
gastfrei gehalten, dieser Mann. Nach dem Mahl stunden die Kaufleute auf 
und gingen in den Stall, für ihre Pferde zu sorgen. Martinus blieb allein 
bei uns in der Stube; wir dankten ihm für seine Zehrung und ließen uns 
dabei merken, daß wir ihn für den Ulrich von Hutten hielten. Er aber sprach: 
„Ich bin es nicht." Gerade trat der Wirt herein. Sprach Martinus: „Ich 
bin diese Nacht zu einem Edelmann worden, denn diese Schweizer halten mich 
für Ulrich von Hutten." Sprach der Wirt: „Ihr seid es nicht, aber Ihr seid 
Martinus Luther." Da lachte er mit solchem Scherz: „Die halten mich für 
den Hutten, Ihr für den Luther; am Ende werd' ich bald Martinus Marcolfus 
heißen." Und nach solchem Gespräch nahm er ein hohes Bierglas und sprach
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.