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gepflegt worden, ehe in Europa jemand die schöne Blume kannte. Noch
jetzt ist sie ihnen eine Lieblingsblume. Ums Jahr 1559 ward die
Tulpe durch den Gesandten des deutschen Kaisers am türkischen Hofe
von Konstantinopel nach Deutschland gebracht und in den Gärten von
Wien, Prag und Augsburg gezogen. Die Gärten wurden zu jener
Zeit in anderen Formen angelegt als heutzutage. Die Gartenbeete
bildeten die wunderlichsten Figuren und wechselten mit künstlich zu
allerlei Formen beschnittenen Laubhecken und Bäumen ab. Uns dünken
solche Gärten jetzt steif, damals fand man sie schön, und gerade die
Tulpe paßte mit ihrem regelmäßigen Wüchse ganz vortrefflich in die¬
selben. Zum Teil deshalb, daun aber auch wegen ihrer Farbenpracht
ward sie in kurzer Zeit zur allgemeinen Lieblingsblume in Europa.
Besonders in Holland erreichte die Tulpenliebhaberei einen hohen Grad.
Die holländischen Gärtner suchten neue und schöne Spielarten zu erzielen
und verkauften dieselben um außerordentlich hohe Preise. Eine Zwiebel
von einer besonders geschätzten Spielart ward mit 6 bis 7000 holländi¬
schen Gulden bezahlt. Man erzählt eine Anekdote, daß einst in Holland
ein Schiffer beim Frühstück den größten Teil des Vermögens seines
Schiffsherrn verzehrt habe, indem er irrtümlich einige auf dem Tische
liegende Tulpenzwiebeln für gewöhnliche Zwiebeln gehalten und ver¬
speist habe.
Noch gegenwärtig sind die holländischen Gärtner und nächst diesen
die Berliner als die vorzüglichsten Tulpenzüchter berühmt. Sie pflegen
die Tulpe gewöhnlich gemeinschaftlich mit der Hyazinthe. Letztere wurde
mit der Tulpe gleichzeitig in Europa eingeführt, anfänglich jedoch wenig
beachtet. Später kehrte sich das um, so daß man dann die Hyazinthen
höher schätzte als die Tulpen. Hermann Wagner.
94. vis dm Linden.
Auf dem Kirchhof des Hospitals zum heiligen Geiste in
Berlin haben vor vielen Jahren, wie das bejahrte Leute noch
immer von ihren Eltern gehört haben, drei gewaltig grosse Lin¬
den gestanden, die mit ihren Asten den ganzen Raum desselben
weithin überdeckten. Das Wunderbarste an diesen Bäumen war,
dass sie mit den Kronen in die Erde gepflanzt waren und dennoch
ein so herrliches Wachstum erreicht hatten; aber dieses Wun¬
der hatte auch die göttliche Allmacht gewirkt, um einen Un¬
schuldigen vom Tode zu erretten. Vor vielen, vielen Jahren
lebten nämlich in Berlin drei Brüder, die mit der herzlichsten.
Liebe einander zugethan waren und mit Leib und Leben Jur