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74. Lolland.
schlichtes Wesen oft gemißbraucht haben. Der Deutsche läßt sich nicht blindlings
durch die Leidenschaften hinreißen, sein Gewissen ist langsam, aber es spricht
laut zu ihm. — Es giebt kein gebildetes Volk, welches sittlicher wäre, als das
seine, keins, bei dem die mittlere Lebensdauer so lang ist.
Die Deutschen lieben die Beschäftigung des Geistes. Der Unterricht ist
bei ihnen allgemeiner verbreitet und gründlicher, als bei irgend einem andern
Volke. Die Menge der Hauptstädte, welche dieses Land enthält, trägt mächtig
dazu bei, die Wohlthaten der Gesittung nach allen Gegenden zu verbreiten, und
verschafft Künsten und Wissenschaften Unterstützung und Anerkennung. Die deutsche
Sprache ist reicher, als irgend eine andere. Rouyemont.
74. Holland.
H^er nach Holland kommt, die Menschen und ihr Leben sieht, ihre Tüchtig-
44/ keit, Kühnheit, die Zweckmäßigkeit und Nettigkeit aller Einrichtungen, der
steht still und wundert sich. Alles dies, dieses reiche Land, diese prächtigen
Städte, diese städtegleichen Dörfer hat der denkende Mensch aus dem Schlamme
herausgehoben und zum Teil den Wogen des Meeres abgewonnen. Aber wie
soll man diese Menschen beschreiben? Wenn man in die holländischen Städte
und Dörfer tritt und die Leute dort so still und langsam, so nett und reinlich
dabei, als hätten sie mit Arbeit nicht sonderlich sich zu befassen, einhergehen
sieht; wenn der Bauer steif und bedächtig in seinen hohen Holzschuhen einher¬
schreitet und mit behaglicher Miene und langsamer, breiter Rede dem Fremden
begegnet: so könnte einem einfallen, ein so stilles, bequemes Volk könne dies
Land dem Meere nicht abgezwungen, diese Mauern, Türme, Wälle und Deiche
nicht aufgetürmt haben; und doch ist es nicht anders. Der Holländer steht
eben deswegen so behaglich da, weil er der Schöpfer und Herr dieses Landes ist,
wo nur Frösche, Möwen und Rohrdommeln ihre heisere Stimme tönen lassen
würden, wenn der Mensch nicht hinzugetreten und mit Spaten, Schaufel und
Ruder sich gerührt hätte. Freilich die netten Kleider, die der Holländer trägt,
sein stets blankes Schuhwerk, sein mit Blumen und Kräutern, mit Schnörkeln
und Bildern geschmücktes Vorhaus, seine zierlichen, mit bunten Muscheln und
Steinen ausgelegten Gärten, seine nett gefegten Dreschtrennen, seine höchst rein¬
lichen Stallungen möchten auf die Vermutung bringen, der Holländer sei nur
für die häuslichen Geschäfte brauchbar, habe nur für Lebensgenuß Sinn und
huldige bloß der Bequemlichkeit und Weichlichkeit; aber man sehe nur den
Holländer am Ruder seiner Schiffe, auf den Mastspitzen — man sehe ihn nur
auf dem Wasser schalten und walten: da ist er nicht der bequeme und ruhige
Mensch, da bewegt er sich, wenn auch stets besonnen, rasch und kräftig, da
zeigt er eine eiserne Ausdauer und den festesten Willen, und eine große Auf¬
opferungsfähigkeit. Diese trefflichen Eigenschaften haben auch dessen Vorfahren,
namentlich im Kampfe für evangelische Glaubensfreiheit, bewiesen.
Schmuck des Lebens, Reinlichkeit und Sauberkeit fast bis zur Übertrei¬
bung, Blumenliebe und Blumenpflege, Farbenfreude und daher hoher Sinn für
Malerei kennzeichnen den Holländer. Man möchte dies, wenn es nicht geborene
Anlage wäre, fast für ein Werk des überlegenden Verstandes ansehen. Hier in
dieser den Geist niederdrückenden Einförmigkeit, in diesem Lande der Sümpfe,