Full text: Vaterländisches Lesebuch für die mittleren und oberen Klassen evangelischer Volksschulen

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bau entworfen, nach dem ersten großen Baukünstler des Domes fragt jeder 
Besucher vergebens. Man weiß ihn nicht. Man hat Jahrhunderte an 
dem Dome nach dem noch vorhandenen Plane gebaut, aber es ist nieman¬ 
dem eingefallen, den Namen dieses großen Geistes zu nennen. „Die 
Meister, die am Dome gebaut haben, werden nicht genannt; sie haben sich 
ein herrliches Denkmal gebaut, aber ohne Inschrift." 
Leseb. v. Hästers. 
28. Die westfälischen Bauernhäuser. 
Die Westfalen bewahren vielleicht am treuesten die Eigentümlichkeit 
des altsächsischen Stammes. Sie sind gesund und stark von Leib und von 
festem und unerschrockenem Mute. Bei großer Tüchtigkeit und Kernigkeit 
verharren sie gern in ihren alten Gewohnheiten; um das große Ganze be¬ 
kümmern sie sich wenig, aber in seinem kleinen Kreise wirkt jeder mit 
Sorgfalt, Liebe und Treue. Dabei besitzen sie einen unbeugsamen Rechts¬ 
sinn; mit der äußersten Zähigkeit und Hartnäckigkeit halten sie das fest, 
was sie einmal für gut und recht erkannt haben. 
Der Hauptbestandtheil der Bevölkerung ist der Bauer. Wie der 
Edelmann auf seinem Stammschloß, sitzt er auf dem von Vorfahr zu Vor¬ 
fahr sortgeerbten Gute. Das große einstöckige Haus, von dessen Giebel 
meist zwei Pferdeköpfe, in Holz geschnitzt, herabschauen, ist seiner bedeuten¬ 
den Länge nach gewöhnlich in drei Theile getheilt. In der Mitte der 
Giebelseite ist die Einfahrt, welche unmittelbar auf die Tenne fiihrt. Von 
da wird die Ernte auf dem Speicher unterm Dach untergebracht. Rechts 
und links von der breiten Einfahrt sind die Plätze für das Vieh abgeson¬ 
dert, das nicht mit den Köpfen gegen die Wand gekehrt steht, sondern um¬ 
gekehrt klug und gemütlich dem Thun und Treiben der Herrschaft zusieht. 
Der zweite, dahinter liegende Raum, der Wohnplatz der Wrenschen, enthält 
den Kochherd mit seiner schwarzen, umfangreichen Überdachung, in welcher 
die mächtigen Schinken, Würste und Speckseiten geräuchert werden. Die 
Schlafstellen der Familie befinden sich an den Wänden herum in soge¬ 
nannten Schlafschränken, deren Thüren abends geöffnet werden. In der 
Mitte des ganzen Raumes befindet sich der große Familientisch. Das Ge¬ 
sinde schläft in Verschlügen beim Vieh oder auf dem großen Heuboden über 
demselben; Hühner und Tauben sind in kleinen Anbauten an der Tenne 
untergebracht. Das Ganze überschatten Bäume; oft sind es hundertjährige 
Eichen, die ihre Äste auf das bemooste Dach des Hauses niedersenken. 
Der Herd ist des Hauses innerstes Heiligtum. Er ist fast in der 
Mitte und so angelegt, daß die Hausfrau, welche dabei sitzt, zu gleicher 
Zeit alles übersehen kann. Ohne von ihrem Stuhl aufzustehen, übersieht 
sie zugleich drei Thüren, dankt denen, die hereinkommen, heißt sie bei sich 
niedcrsitzen, behält ihre Kinder und ihr Gesinde, ihre Pferde und Kühe im 
Auge, hütet Keller und Kammer, spinnt immerfort und kocht dabei. Ihre 
Schlafstelle ist hinter dem Feuer, und sie behält aus derselben eben die 
große Aussicht, sieht ihr Gesinde zur Arbeit aufstehen und sich niederlegen, 
das Feuer anbrennen und verlöschen und alle Thüren auf- und zugehen, 
hört ihr Vieh fressen und beobachtet Keller, Boden und Kammer. Sowie 
das Vieh gefüttert ist, kann sie hinter ihrem Spinnrade ausruhen, anstatt 
daß anderwärts, wo die Leute in Stuben sitzen, so oft die Hausthür auf- 
Helmrich, Vaterland. Lesebuch. 14
	        
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