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42. Die pyrenäische Halbinsel.
Südwestlich von Frankreich erstreckt sich, ebenso lang als breit, die
pyrenäische Halbinsel in das atlantische und mittelländische Meer.
An der Westküste derselben liegt das Königreich Portugal; der übrige,
bei weitem größere Theil ist das Königreich Spanien. Kein Land Europas
nähert sich Afrika so sehr wie dieses; an der Straße von Gibraltar be¬
trägt die Entfernung nur 21h Meilen. Keines hat aber auch eine so
große Ähnlichkeit mit Afrika. Die Küsten der Halbinsel sind nur wenig vom
Meere zerschnitten; weite Busen bildet das Meer nirgend. Auch die Ober¬
fläche des Bodens ist nicht sehr mannigfaltig; große Gebirge scheiden weite,
ununterbrochene Hochebenen. An der Grenze Frankreichs liegen die
Pyrenäen, welche nächst den Alpen zu den höchsten und unzugänglichsten
Gebirgen Europas gehören. Wenn gleich die höchsten Gipfel beständig mit
Schnee und Eis bedeckt sind, so fehlen doch Gletscher von größerer Aus¬
dehnung, und daher mangelt es an Bewässerung. Gewitter und Sturm¬
winde toben in den höheren Gegenden oft mit unglaublicher Heftigkeit,
und auf den Übergängen über das Gebirge sausen mittags fast beständig
die Stürme mit solcher Gewalt, daß die Spanier zu sagen pflegen: „Hier
wartet weder der Vater ans den Sohn, noch der Sohn auf den Vater."
Am Fuße der Pyrenäen liegt die schöne, warme Ebroebene. Da wachsen
Citronen, Apfelsinen, Ölbäume, Wein, Weizen, Gerste und in den wasser¬
reichen Gegenden Reis; die Fruchtbarkeit ist so groß, daß fast überall
zweimal geerntet werden kann. Die Berge sind größtentheils mit Kork¬
eichen bedeckt, und über den Waldbäumen erheben sich dichte Gebüsche von
Lorbeeren und Myrten, Buchsbaum und Rosmarin. Die Felder sind
häufig von Maulbeerbäumen eingefaßt, an welchen sich die Rebe hinauf¬
windet. Gleich schön und fruchtbar ist das Tiefland im Süden der Halb¬
insel, in dessen Mitte die Stadt Sevilla mit ihren engen Straßen und
morgenländisch gebauten Häusern liegt. Hier herrscht schon fast eine af¬
rikanische Glut; daher sieht man Haine von Citronen und Orangen, der
Mandelbaum wird von der Weinrebe umschlungen. An der Küste liegt
Malaga mit seinen vielen Weingärten, und Cadip taucht mit schnee¬
weißen Häusern im Glanze der Sonnenstrahlen wie ein Edelstein aus der
blauen Meeresflut auf. Zwischen beiden Städten liegt der steile Felsen
von Gibraltar, der in den Händen der Engländer ist. Fast noch schöner,
als der südliche Theil, ist die Ostküste. Hier herrscht wegen der kühlenden
Seewinde ewiger Frühling; Lorbeeren, Maulbeerbäume, Feigen, Granaten
mit glutroter Blüte und vor allem Wein wachsen allerorten. Ganz anders
sieht es auf der Hochebene aus. Bei Nacht wird's auf ihr recht kühl, wes¬
halb der Spanier gern den Mantel trägt; bei Tage aber ist's sehr heiß.
Umsonst sucht man die lieblichen Thäler und Gärten Italiens oder den
deutschen Wald mit seiner Frische, seinem goldigen Grün und heiteren
Vogelfang. Unendliche baumlose, sonnenverbrannte Flächen, einsam und
grabesstill, breiten sich vor den Blicken aus. Da blüht nicht einmal das
Heidenröslein; nur der wilde Ginsterstrauch wiegt sich im Winde, und in
den Flußthälern ist zuweilen ein kleines Eichen- oder Ulmengehölz zu finden.
Auf . den unbebauten Grassteppen dieser Hochebene weidet der Hirt seine
Merinoherde; nachlässig und träumerisch, in ein Schaffell gekleidct/die Lanze
in der Hand, hat er sich hingestreckt. Im Winter, wo es hier schneidend
Helmrich, Vaterland. Lesebuch. 15