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93. Abendlied im Freien.
1.
omm, stiller Abend, nieder
.auf unsre kleine Flur;
dir tönen unsre Lieder:
wie schön bist du, Natur!
Allüberall herrscht Schweigen;
nur schwingt der Vögel Chor
noch aus den dunkeln Zweigen
den Nachtgesang empor.
2.
Der Glanz der Abendröte
senkt sich aufs grüne Thal,
sanft schmilzt der Laut der Flöte
in ihrem letzten Strahl.
4.
Kommst, lieber Abend, nieder
auf unsre kleine Flur;
dir tönen unsre Lieder:
wie schön bist du, Natur!
Karl Claudius.
94. Der Lenz
1. Der Lenz ist angekommen!
Habt ihr ihn nicht vernommen?
Es sagen's euch die Vögelein,
es sagen's euch die Blümelein:
der Lenz ist angekommen!
ist angekommen.
2. Ihr seht es an den Feldern,
ihr seht es an den Wäldern,
der Kuckuck ruft, der Finke schlägt,
es jubelt, was sich froh bewegt:'
der Lenz ist angekommen!
3. Hier Blümlein auf der Heide,
dort Schäflein auf der Weide.
Ach, seht doch, wie sich alles freut,
es hat die Welt sich schön erneut:
der Lenz ist angekommen! Wunderhorn.
95. Früliliiigsglaube.
1. Die linden Lüfte sind erwacht,
sie säuseln und weben Tag und Nacht,
sie schaffen an allen Enden.
0 frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muss sich alles, alles wenden.
2. Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
man weiss nicht, was noch werden mag,
das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Thal:
Nun, armes Herz, vergiss der Qual!
Nun muss sich alles, alles wenden.
Uhland.
96. Boten göttlicher Fürsorge.
Die Blumen, Kräuter und alle Gewächse der Erde treten mit an¬
brechendem Frühlinge aus ihrer Schlafkammer; sie haben einen neuen Rock
angelegt und reden durch ihren lieblichen Geruch, ihre mannigfaltige Gestalt
und ihre bunte Farbe mit uns, sprechend in ihrer stummen Sprache: „O,
ihr ungläubigen Menschenkinder, sehet uns alle an, alle, die ihr Gottes