Full text: Vaterländisches Lesebuch für die mittleren und oberen Klassen evangelischer Volksschulen

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gleich wissen, was in ihnen steckt. Da kommen denn die Knaben und 
Mädchen und langen zu und knacken, ohne daß es ihnen die Sträucher 
wehren. Aber alle Nüsse bekommen sie doch nicht; denn das Eichhörnchen 
hat sich auch sein Theil geholt, um für den kalten Winter Vorrat zu haben. 
Von den Schatzgräbern, diesen Betrügern, mag ich nichts hören; aber 
die Schatzgräber im Herbste sehe ich mit Lust. Gold und Silber graben 
sie freilich nicht aus dem Boden, aber dafür etwas, was tausend mal mehr 
wert ist. Geht in ein Haus, in welches ihr wollt, und ihr werdet nicht 
vergeblich nach Kartoffeln fragen, wenn ihre Zeit da ist. Was wollten 
arme Eltern mit ihren vielen Kindern anfangen, wenn sie nicht eine 
tüchtige Schüssel voll Kartoffeln auf den Tisch setzen könnten! Aber auch 
die Reichen wissen diese gemeine, unansehnliche Knolle zu schätzen und sehen 
sie gern auf ihren Tafeln. 
So groß aber der Nutzen und der Segen der Kartoffeln ist, so geht 
es doch bei ihrer Ernte ganz still her, und man hört nichts von Jubeln 
und Jauchzen und Böllern und sieht nichts von geputzten Wagen und 
Menschen. Diese Ehre widerfährt nur den Weintrauben und dem Weine. 
So ist der Mensch! Allen Respekt vor dem Weine, denn er erfreut des 
Menschen Herz; aber wenn man auf den Nutzen sieht, so sind doch die 
Trauben mit den Kartoffeln nicht zu vergleichen. Der Wein ist nur ein 
Freund der Reichen; die Kartoffeln aber sind Freunde der Reichen und der 
Armen. Walther. 
121. Der Weinstock. 
Am Tage der Schöpfung rühmten sich die Bäume gegen einander, 
frohlockend ein jeglicher über sein eigenes Dasein. Mich hat der Herr ge¬ 
pflanzt, sprach die erhabene Ceder; Festigkeit und Wohlgeruch, Stärke und 
Dauer hat er in mir vereinigt. Jehovas Güte hat mich zum Segen ge¬ 
setzt, sprach der umschattende Palmbaum; Nutzen und Schönheit hat er in 
mir vermählet. Der Apfelbaum sprach: Wie ein Bräutigam unter den 
Jünglingen, prange ich unter den Bäumen des Waldes. Und die Myrte 
sprach: Wie unter den Dornen die Rose, stehe ich unter den niedrigen 
Gesträuchen. So rühmten alle, der Oel- und Feigenbaum, selbst die 
Fichte und Tanne rühmten. — 
Der einzige Weinstock schwieg und sank zu Boden. „Mir, sprach er 
zu sich selbst, scheint alles versagt zu sein, Stamm und Äste, Blüten und 
Früchte; aber so wie ich bin, will ich hoffen und warten. Er sank dar¬ 
nieder, und seine Zweige weinten. 
Nicht lange wartete und weinte er; siehe, da trat die Gottheit der 
Erde, der freundliche Mensch, zu ihm. Er sah sein schwaches Gewächs, 
ein Spiel der Lüfte, das unter sich sank und Hilfe begehrte. Mitleidig 
richtete er's ans und schlang den zarten Baum an seiner Laube hinauf. 
Froher spielten jetzt die Lüfte mit seinen Reben, die Glut der Sonne dnrch- 
drang seine harten, grünenden Körner, bereitend in ihnen den süßen Saft, 
den Trank für Götter und Menschen. Mit reichen Trauben geschmückt, 
neigte bald der Weinstock sich zu seinem Herrn nieder, und dieser kostete 
seinen erquickenden Saft und nannte ihn seinen Freund, seinen dankbaren 
Liebling. Die stolzen Bäume beneideten ihn jetzt, denn viele standen
	        
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