Full text: Anschaulich-ausführliches Realienbuch

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werden. Sie muß vielmehr erst durch das „Fegefeuer" vou allen bösen Lüsten und 
Begierden gereinigt werden. Doch kann die Qual im Fegefeuer dadurch verkürzt 
werden, daß man für die Verstorbenen „Messen" (Gebete) lesen läßt. Reiche Leute 
setzten in ihrem Testamente oft große Summen für solche Messen aus. Diese Lehre 
brachte daher der Kirche viel ein. Aber noch einträglicher als die Lehre vom Fege¬ 
feuer war die Lehre vom Ablaß. Wenn nämlich ein Übelthäter vom Priester zum 
Fasten, zur Geißelung, zur Wallfahrt re. verurteilt war, so konnte er sich durch Geld 
von diesen Strafen loskaufen. Er erhielt dann einen Schein, daß ihm die Strafen 
erlassen seien. Beim Volke bildete sich daher allmählich der Glaube aus, daß man 
sich durch Geld auch von den ewigen Strafen frei machen könne. 
An die Stelle der allgemeinen Beichte war die Ohrenbeichte (Bekenntnis jeder 
einzelnen Sünde) getreten, der Heiligendienst sowie die Verehrung der Reliquien hatte 
überhand genommen, und beim Abendmahl entzog man den Laien den Kelch. Be¬ 
sonders aber erregte das gottlose Leben vieler Geistlichen Anstoß. Ein Papst wurde 
wegen Meineids, Gotteslästerung, Mordes und Ehebruchs abgesetzt, und Johann 
XXIII. war sogar in seiner Jugend Seeräuber gewesen. Dieser letztere Papst hatte 
noch zwei Gegenpäpste, und so gab es drei Päpste auf einmal, die sich gegenseitig ver¬ 
fluchten und in den Bann thaten. Und wie das Haupt, so die Glieder. Die Priester 
waren meist sehr unwissend und führten nur zu oft kein Gott wohlgefälliges Leben. 
Das Volk wurde in Dummheit und Aberglauben erhalten. Wer in der Bibel las, 
wurde sogar als Ketzer bestraft. 
2. Huß. Gegen die Irrlehren der Kirche trat am Ende des 14. Jahrhunderts 
zuerst Johann Huß, Prediger und Professor in Prag, öffentlich ans. Freimütig geißelte 
er mit scharfen Worten die Sünden der Geistlichen, den Ablaß, den Aberglauben des 
Volkes re. und mahnte zur Umkehr. Besonders eiferte er auch dagegen, daß man dem 
Volke den Kelch beim h. Abendmahl entziehe. (Nur der geweihte Priester durfte den 
Wein trinken, damit kein Tropfen des Blutes Christi verschüttet würde.) Die Priester 
aber waren erbost über Huß und brachten die Sache vor den Papst. Dieser verbot 
ihm das Predigen, that ihn in den Bann und sprach über die Stadt Prag, die es mit 
Huß hielt und die Ablaßbulle unter dem Galgen verbrannt hatte, den Kirchenbann 
aus. (Während des Kirchenbannes blieben die Kirchen verschlossen, die Glocken ver¬ 
stummten, kein Geistlicher durfte den Toten zu Grabe folgen, linb die Taufen und 
Trauungen mußten auf dem Kirchhofe vollzogen werden.) 
3. Konzil zu Konstanz. Bald darauf bewog Kaiser Sigismund den Papst 
Johann XXIII., eine Kirchenversammlung nach Konstanz zu berufen. Hier sollte eine 
Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern vorgenommen werden. Huß ver¬ 
langte, von dem Konzil gehört und beurteilt zu werden. Der Kaiser gab ihm einen 
Geleitsbrief, worin er ihm seinen besonderen Schutz zusagte, und auch der Papst 
versprach, es solle ihm kein Leids geschehen, und wenn er auch des Papstes Bruder 
ernwrdet hätte. Als aber Huß in Konstanz ankam, ward er noch vor dem Verhör in 
ein ekelhaftes, ungesundes Gefängnis geworfen. Sigismund, hierüber unwillig, ward 
von den Geistlichen durch die Worte beruhigt: „Einem Ketzer braucht man das ge¬ 
gebene Wort nicht zu halten." Huß verfiel in eine schwere Krankheit und war dem 
Tode nahe. Kaum genesen, ward er in die Domkirche geführt, wo das Konzil ver¬ 
sammelt war. Aller Augen sahen auf ihn. Er verteidigte sich in einer gewaltigen 
Rede. Man forderte jedoch, er sollte seine als ketzerisch bezeichneten Lehren abschwören. 
Er aber sprach: „Wenn man mich aus der Bibel eines Irrtums überführt, so will 
ich gerne widerrufen, wo nicht, so werde ich bis in den Tod meinem Glauben treu 
bleiben!" Da verdammte ihn das Konzil zum Feuertode.
	        
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