Full text: Für die Mittelklassen mehrklassiger Schulen (Teil 1)

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Erzählung überall Mitleid erweckt, eine ziemlich lange Zeit von 
Ort zu Ort. Bald Pflegen seiner mitleidige Bauern, oder eine 
gute Predigersfrau reinigt und erquickt ihn; wohlmeinende Edel¬ 
frauen geben ihm Geld und Kleider. Geld zwar achtet er anfangs 
nicht, sondern giebt es andern armen Kindern. Da er aber einmal 
bemerkt, daß man auch gutes, weißes Brot an Bäckerläden dafür 
haben kann, lernt er auch den Wert dieses Almosens kennen. 
Endlich kommt er in eine ihm damals sehr groß und prächtig 
scheinende Stadt, wahrscheinlich Zwickau. Die große Teuerung im 
Gebirge hatte damals viele Arme nach den Städten hingezogen; 
sie suchten am Tage ihren Bissen Brot vor den Thüren mitleidiger 
Bürger, und bei Nacht schliefen sie außen vor der Stadt. Der 
Kleine hatte bisher eigentlich noch nie gebettelt, sich immer nur 
vor die Thüre still hingestellt und gewartet, bis man ihn anredete 
und ihn zum Essen einlud. — Nun lernte er von den Armen um 
Almosen bitteil. Dem kleinen, zarten, treuherzigen Knaben gab jeder 
reichlich, und er vermochte nur den geringsten Teil des empfangenen 
Brotes zu essen. Da nahm er denn am Abend seinen ganzen 
Vorrat all Brot imd Geld m:d ging in der Vorstadt in eine Hütte, 
die ihm die ärmste schien, und wo viele Kinder waren. Diesen 
gab er seht Brot und Geld und bat dafür um Obdach. So wurde 
er gerade in der Zeit des größten Mangels der Erhalter und 
rettende Engel einiger ganz armerr Familien. 
3. Die Heimkehr. 
Nachdem er die Stadt verlassen hatte, kommt er einmal an 
einem Herbstabende, da eben die Sonne untergehen wollte, auf 
eine Berghöhe, von wo er hinten im Thal ein Dorf mit einer 
kleinen Kirche liegen sieht. Das Dorf und die Kirche kommen ihm 
bekannt vor, und nun schon dreister geworden, fragt er einen Bauer, 
der aus der Anhöhe ackert, wie der Ort heiße. Der antwortet: 
„Ober-S." Da läuft der Kleine, vor Freude außer sich, den Berg 
hinunter und kommt noch in der Dämmerung ins Dorf. Er findet 
gar bald die wohlbekannte Hütte seiner Eltern imd.klopft an die 
Thür; aber die ist und bleibt verschlossen. An der hintern Seite 
des Häuschens befand sich jedoch ein Laden, der gewöhnlich offen 
stand. Auch jetzt war er geöffnet, und der Kleine klettert hinauf, 
wie er sonst öfters seinen älteren Bruder hatte hinaufklettern sehen. 
Aber im Innern des Hauses war alles still, und der Knabe, der 
glaubt, es schlafe schon alles, legt sich auch ganz still in einen oben 
auf dem Boden stehenden, offenett Kasten, worin alte Kleider und 
Lumpen lagen. Zum erstenmal wieder im Hause seiner lieben 
Mutter, erwacht er am andern Morgen tiberaus froh und heiter, 
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