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Einmal beklagte sich ein vornehmer Athener bei ihm, daß es 
erstaunlich kostbar sei, in Athen zu leben, und rechnete ihm vor, wie 
teuer der Purpur, die feinen Weine und andere Kostbarkeiten seien. 
Sokrates ging mit ihm in verschiedene Läden, wo Lebensmittel ver¬ 
kauft wurden. Mehl und Oliven kosteten sehr wenig. Dann fragte 
er in einem Laden, wo gemeines Zeug zur Kleidung um geringe 
Preise zu haben war. — „Siehe", sagte er dann, „ich finde es ganz 
wohlfeil in Athen." 
Ein anderer beschwerte sich über die Mühseligkeiten einer Fu߬ 
reise, die er so eben zurückgelegt hatte. „Hat dir dein Sklave folgen 
können?" fragte Sokrates. — O ja! — „Trug er etwas?" — Ein 
großes Bündel. — „Der ist wohl recht müde?" — Nein, ich habe 
ihn gleich wieder mit einem Auftrage weithin in die Stadt geschickt.— 
„Sieh", sagte Sokrates, „du hast vor deinem Sklaven Vorzüge des 
Glückes; er hat vor dir Vorzüge der Natur. Du bist reich und frei, 
aber schwach und weichlich; er ist arm und leibeigen, aber gesund 
und stark. Sage selbst, wer der Glücklichste ist!" 
Sokrates arbeitete täglich an der Beherrschung seiner Begierden. 
Kam er z. B. erhitzt zu einem Brunnen, so füllte er mehremal den 
Eimer und goß ihn langsam wieder aus. Seinen Beleidigern gegen¬ 
über behauptete er die höchste Ruhe und Gelassenheit. Einst schalt 
seine Frau mit ihm. Er antwortete ihr nicht anders als gelassen. 
Da sie immer heftiger ward, stand er endlich auf und ging hinweg. 
Dieses erbitterte sie noch mehr. Sie ergriff ein volles Waschbecken 
und goß es ihm nach. „Ich dachte es wohl," sagte Sokrates zu 
einem staunenden Nachbar, „daß ein Donnerwetter nicht ohne Regen 
bleiben würde!" 
Sokrates machte sich durch seine Sittenstrenge bei manchen ver¬ 
haßt, aber dennoch blieb er bis in sein siebzigstes Jahr unangefochten. 
Da erst verklagten ihn öffentlich drei Männer, daß er die Götter 
leugne, die Jugend verderbe und den Tod verdiene. 
Sokrates verteidigte sich so ruhig und gelassen, wie er immer 
gesprochen hatte. Er berief sich auf sein öffentliches Leben, und wie 
es immer sein Bestreben gewesen sei, seine Mitbürger tugendhafter, 
weiser und glücklicher zu machen. Seine edle, ruhige Sprache erbit¬ 
terte seine Feinde noch mehr, da sie Bitten und Thränen von ihm 
zu hören wünschten. Die Richter schritten zum Urteil. Mit drei 
Stimmen Mehrheit verdammte man ihn zum Tode. Sokrates erbat 
sich kein anderes Urteil. Er hörte das Todesurteil mit der größten 
Ruhe an, nahm Abschied von denjenigen Richtern, die für ihn 
gesprochen hatten, verzieh denen, die als seine Gegner auftraten, und 
versicherte, daß er sich freue, zu den Geistern der früher gestorbenen 
Edeln hinübergehen zu können. „Eins", so schloß er seine Rede, 
„bitte ich noch von euch. An meinen Söhnen, wenn sie erwachsen 
sind, nehmt eure Rache und quält sie eben so, wenn euch dünkt, daß 
sie sich um Reichtum mehr bemühen als um Tugend. Und dünken 
Weite Welt. 7. und 8. Schuljahr. 2.
	        
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