Full text: Für die Klasse V (Teil 2 = Unterstufe, [Schülerband])

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Beschreibungen und Schilderungen. 
103. Notizen über den Sperling. 
E. Budde, Naturwissenschaftliche Plaudereien. 
A. 
Ein Strolch, und ein Gassenjunge ist Herr Spatz. Die Natur 
selber hat ihm eine Jacke angezogen, als ob er eben aus der 
Besserungsanstalt käme — zweite Garnitur, verschossenes Grau mit 
verschossenem Braun, und hei dem Männlein noch ein verunglückter 
Versuch von schäbiger Eleganz, dargestellt durch eine schwarze 
Krawatte — aber welch ein gemütlicher, lebenslustiger, schlauer 
Strolch ist er! Wie schmecken ihm die gestohlenen Bröckchen, wie 
tapfer schlägt er sich durch die harte Zeit des Regens und des 
Schnees, wie pfiffig blickt er aus seinen Äuglein, und wie trefflich 
weiss er Vorsicht mit Frechheit zu vereinen, wenn es sich darum 
handelt, sein Brot zu finden und zugleich seine Person in Sicher¬ 
heit zu halten! 
Drüben unter dem Dache, zwischen den Vorsprüngen der Fries¬ 
verzierung, sitzt eben die ganze Familie, der Papa dick und breit, 
die Mama etwas schmächtig, die drei Jungen ruppig und fressgierig; 
sie drehen die Köpfchen und blinzeln herüber; denn vor meinem 
Fenster liegen die Krümchen, welche sie haben sollen. Ja, wenn 
ich allein wäre, dann würden sie längst beim Futter sitzen; hat der 
Papa mir doch eben zugeschaut, wie ich es streute, und hat seine 
Billigung durch leises Piepen zu erkennen gegeben. Aber hinter 
dem Fenster lauschen zwei runde Kinderköpfe, und der erfahrene 
Schlingel weiss ganz genau, dass kleine Menschen für ihn und seine 
Brut viel gefährlicher sind als erwachsene. Bin ich allein, so schiefst 
er in demselben Augenblick heran, wo ich ihm den Rücken wende. 
Lässt sich ein Kind in der Nähe sehen, dann hat die Zutraulichkeit 
flugs ein Ende. Jetzt wagt sich eins von den Jungen auf die 
Fensterbank, aber der Alte stöfst sofort ein schmetterndes Warnungs¬ 
geschrei aus; der Junge lässt sich einschüchtern und kehrt, ohne 
etwas genossen zu haben, auf seinen Beobachtungsposten zurück. 
Die Kinder werden in einiger Entfernung vom Fenster auf¬ 
gestellt, und dann schiefst die Spatzengesellschaft heran. Zunächst 
giebt es eine kleine Erziehungsscene. Die Jungen sind nämlich 
eben erst selbständig geworden und möchten gern nach alter Ge¬ 
wohnheit von ihren Eltern gefüttert werden. Mit herabhängenden 
Flügeln, denen sie eine leise zitternde Bewegung erteilen, und mit 
halb aufgesperrtem Schnabel hüpfen sie vor den Alten umher und 
stofsen ein bittendes Piepen aus. Aber Papa hat Grundsätze; auch 
er senkt die Flügel, bläht sein Gefieder auf, um sich ein gefährliches
	        
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