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Mittlere Geschichte. 3. Periode. Kreuzzüge. 
einem reichvergoldeten Throne. Als nun Gottfried und alle die 
Prinzen und Fürsten seines Heeres in reicher Waffenrüstung ein¬ 
traten und ehrerbietig grüßten, ihm auch — so war es Sitte 
am griechischen Hofe — die Kniee küßten, sah Alexius sie stolz 
au, ohne auch nur den Kopf zu bewegen. Und doch ließ er 
nachher dem Gottfried ein kaiserliches Kleid anlegen und er¬ 
nannte ihn feierlich zu feinem Sohne. Dafür mußte Alexius 
bei einer ähnlichen Gelegenheit eine rechte Demüthigung erfahren 
von einem französischen Ritter, Robert aus Paris. Dieser Mann 
wurde nebst mehrern Andern auch zur Audienz gelassen, um dem 
Kaiser den Eid zu leisten. Alexius machte bei dem Gruße der 
Ritter dieselbe stolze Miene, ohne sich zu bewegen. Das ärgerte 
den Robert, der im Herzen den ohnmächtigen Kaiser verachtete. 
Nachdem er den Eid geleistet hatte, stieg er zum Staunen der 
Höflinge die Stufen des Thrones hinan und setzte sich keck neben 
den Kaiser hin, der mit griechischer Freundlichkeit — im Herzen 
wollte er vor Aerger vergehen — dem dreisten Burschen neben 
sich Platz machte. Der anwesende Bruder Gottfrieds, Balduin, 
machte deni Ritter wegen der begangenen Unschicklichkeit Vor¬ 
stellungen; aber dieser that, als wenn er das nicht hörte, sah 
seinen gekrönten Nachbar verächtlich über die Schulter an und 
murmelte unwillig: „Potz! über den Strohjunker, der sich da 
allein breit hinsetzt und so viele wackere Ritter stehen läßtO' — 
Alexius wollte vergehen vor Wuth; aber was wollte er machen? 
Er mußte sich obendrein noch freundlich stellen; denn er wußte 
wohl, daß mit diesem ungeschlachten Ritter nicht zu spaßen war. 
Alle französische und italienische Prinzen und Fürsten, die 
mit großen Heeresmassen ausgezogen und auf verschiedenen We¬ 
gen nach Constantinopel, welches der allgemeine Sammelplatz 
sein sollte, gekommen waren, setzten nun nach Klein-Asien über, 
und als jeder Fürst hier die Seinigen musterte, fanden sich 
600.000 christliche Streiter beisammen. unter welchen allein 
100.000 zu Pferde waren; dabei waren die Priester, die Greise, 
die Weiber und Kinder noch nicht einmal mitgezählt! Freilich 
ein ungeheueres Heer; aber die Menge von Menschen machte es 
schwer, alle mit Lebensmitteln zu versorgen. Run ging über¬ 
haupt das Elend erst recht an. Klein-Asien ist mit Bergrücken 
durchzogen, fast nirgends eben; überall nur Berge und Thäler. 
Und sobald die Kreuzfahrer durch ein enges Felsenthal zogen, 
waren auch die verschmitzten Seldschucken, die jeden Weg genau
	        
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