58 Mittlere Geschichte. 2. Periode. Deutschland.
Aus diesen Standes-Unterschieden entwickelte sich in Folge
der Kriege und Eroberungen das L eh ns wesen des Mittelal¬
ters, das sogenannte Fe udalsystem. Alles eroberte Land näm¬
lich wurde unter die alten und neuen Besitzer getheilt, dergestalt
aber, daß das den Ueberwundenen belassene Land gewisse Zinsen
oder Leistungen zu gewähren hatte. Das übrige Land theilte
der Sieger unter seine Gefährten (Vasallen), wofür sie ihm zum
Heerbanll verpflichtet wurden. Aller Besitz ging also von dem
Landesherrn aus, er war der allgemeine Lehnsherr. Der König
erhielt aber durch das Recht der Eroberung noch einen beson¬
dern Antheil an dem eroberten Lande für sich, welches er eben¬
falls unter treue Diener vertheilte, aber nur zu lebenslänglicher
Nutznießung. Ebenso übertrugen die großen Grundbesitzer einen
Theil ihres Allods oder auch ihres Lehns geringeren Leuten als
Asterlehn und brachten so die kleinen Freien in ein Lehnsverhält-
niß, welches von diesen meistens auch aus dem Grunde gesucht
ward, weil sie dadurch von dem allgemeinen Heerbann befreit
wurden. Der Stand der Freien erhielt sich nur in den Baro¬
nen, freien Grundbesitzern in Mitte der Vasallen.
Sie wurden Hintersassen der großen Grundherren. Das
ganze Staatswesen des Mittelalters bestand also aus einer Un¬
masse ineinander verschlungener Privatverhältnisse, deren beleben¬
des Princip die wechselseitige Treue war.
Zu der Zeit, wo der Adel allein den Stand der freien Leute
ausmachte, herrschte unter ihm noch eine entsetzliche Rohheit. Ohne
allen Unterricht in Wissenschaften aufgewachsen, hatten die Edel¬
leute für nichts Anderes Sinn, als sich im Kriege mit dem Feinde
herumzuschlagen, oder, wenn es keinen Krieg gab, zu jagen und
zu zechen. Kräftig wuchsen sie heran, abgehärtet wurden ihre
Körper durch die beständige Bewegung; und da damals der
höchste Ruhm nicht darin bestand, der Tugendhafteste und Ver¬
ständigste zu sein, sondern die stärkste Faust zu haben, so übten
sich die Edelleute schon von Kindheit an, sich herumzuschlagen,
zu reiten, zu jagen und zu fechten. Daher sehen wir auch jetzt
noch in den alten Rüstkammern oft schwere Panzer und Waffen,
die uns zu Boden drücken würden. Aber wir wollen diese un>
sere schwächere Natur nicht beklagen, da indessen dafür unser
Geist Riesenschritte gemacht hat. Die alten Ritter waren mei¬
stens so unwissend, daß wenige von ihnen lesen und schreiben
konnten, und wenn einer seinen Namen unterschreiben sollte, so