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203. Die Gemsen im bayerischen Hochlande.
freute! Diese Tiere sind es erst, die den Bergen das Ge—
präge der Freiheit geben, indem sie diese Freiheit genießen.
Sie zeigen uns, daß auch diese felsige Wildnis die Heimat
ist für ein tausendfältiges frohes Leben — —
Nicht bloß im Erlegen der Beute sondern auch in der
Quühnheit des Weges, in dem Zauber der Natur liegt das
Geheimnis der Jagd. Und darum ist die Gemsjagd von
allem Weidwerk das schönste. Nicht der gewaltige Bock ist
das letzte Ziel; denn wenn er zwanzig Schritte vor uns
auf der Straße stünde, wen möchte es da noch freuen zu
schießen? Aber die Felswand, in die er eingestiegen; die
Almen, in deren Hütten der Jäger Einkehr hält; das Edel
weiß, das er sich auf den Hut steckt, und der Juhschrei,
der ihn begleitet: das ist eine Welt voll Lockung und
Zauber, dort muß man den Gemsbock suchen; da lohnt
sich's der Mühe, ihm tagelang zu folgen ins steilste Ge—
schröft. Und wenn wir ihm dann gegenüberstehen, wenn
dann der Schuß kracht, daß das Echo weithin durch die
Berge hallt, dann soll man's dem Jäger nicht verdenken,
wenn ihm das Herz vor Freude bebt; denn das erst ist
rechtschaffenes Jagen.
Der reiche Gemsstand, den unsere Berge besitzen, wird
übrigens noch in anderer Weise bedroht als durch die
Qugel des Jägers; denn dieser geht nur den starken Böcken
nach. Aber wenn jene sausenden Fittiche dröhnen; wenn
hoch in den Lüften ein dunkler Punkt erscheint, der in
beilen Kreisen immer tiefer und tiefer sinkt: dann kommt
eine gespenstige Unruhe über das Rudel, die kein Jäger in
dasselbe hineinträgt. Dann gilt es den Kleinen, dem scheuen
Zicklein, das bange unter die Mutter flüchtet. Vor den
Steinen, die donnernd herunterstürzen, schützt die über—
hängende Felswand und vor der Kugel der warnende Wind.
Vor dem Abdler aber, den seine Schwinge in jede Höhe und
Tiefe trägt, ist auch das kühnste Wild der Berge wehrlos.
Und nur die Wehrlosigkeit, nicht die Gefahr flößt den