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trostlos und sinnlos: „Komm nur wieder, Jugend, komm
wieder!" —
— Und sie kam wieder; denn er hatte nur in der Neujahrs¬
nacht so fürchterlich geträumt. Er war noch ein Jüngling. Nur
seine Verirrungen waren kein Traum gewesen; aber er dankte
Gott, daß er, noch jung in den schmutzigen Gängen des Lasters,
umkehren und sich auf die Sonnenbahn zurückbegeben konnte,
die ins reine Land der Ernten leitet.
Kehre mit ihm um, junger Leser, junge Leserin, wenn du
auf seinem Irrwege stehst! Dieser schreckende Traum wird künftig
dein Richter werden; aber wenn du einst jammervoll rufen wür¬
dest: „Komm wieder, schöne Jugend!" — so würde sie nicht wieder
kommen. I. «j/auL
154. Zum
1. Wie heimlicherweise
ein Engelein leise
mit rosigen Flügeln
die Erde betritt,
so nahte der Morgen.
Jauchzt Ihm, ihr Frommen,
ein heilig Willkommen,
ein heilig Willkommen!
Herz, jauchze du mit!
neuen Jahr.
2. In Ihm sei's begonnen,
der Monde und Sonnen
an blauen Gezeiten
des Himmels bewegt.
Du Vater, du rate,
du lenke und wende!
Herr, dir in die Hände
sei Anfang und Ende,
sei alles gelegt!
Eduard Mörike.
155. Die Tage kommen und gehen.
Selten sind es große Schicksalsschläge, die einen Menschen
sorgenvoll machen und entkräften. Die täglichen kleinen
Leiden in ihrer jähre- und jahrzehntelangen Fortsetzung sind es,
die ihn niederzwingen. Sie wirken auf ihn ein wie der Einfluß
der Witterung auf den härtesten Stein: auch er muß zerbröckeln!
Aber lassen wir uns nicht selten von den kleinen, nur zu
oft kleinlichen Sorgen des Tages mehr in Mitleidenschaft ziehen,
als wir es in einer Stunde der Einkehr selbst für gut halten?
Wie zieht doch alles vorüber, Gutes und Schlimmes! Die Last,
die uns gestern noch bedrückte, kann uns heute schon genommen
sein; und sollten wir uns erst nach Jahren von ihr befreit fühlen
— auch Jahre kommen und gehen. Gewiß! wird mancher denken;
aber eine Last, die mich jahrelang drückt, wird mich schließlich
erdrücken! Doch der innere Mensch hat das vor seinem Körper
voraus, daß er sich weit leichter als dieser wieder aufzuraffen
vermag, ja oft sogar an Kraft und Tragfähigkeit zunimmt, wenn
der Körper schon von den Jahren unterjocht wird. Nur die vielen