Full text: Lesebuch für die reifere weibliche Jugend

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Mit beiden Händen schlug die Brabanterin ein; halb nur 
verstand sie Barbaras Worte. 
3. 
Am andern Morgen wurden auf Herrn Uttmanns Betreiben 
alle Leute mit ihren Kindern — nur die unter fünf Jahren 
blieben daheim — zusammengerufen. Der Vergherr, der, als er 
am vergangenen Abend heimgekehrt war, seine fromme Gemahlin 
nur stumm in die Arme geschlossen hatte, teilte jetzt den Leuten 
Barbaras Pläne mit. Staunen und Zweifel ringsum, und auf 
die Brabanterin und deren Kinder blickte man mit ungläubigen 
Mienen. Aber unser würdiges Paar beachtete das alles nicht: 
es lieh Stäbchen anfertigen, die der Schmied mit Haken versah, 
und Klaus ward nach Dresden geschickt, um Zwirn zu kaufen, und 
es kam von dorther auch ein Maler, der Muster nach Muster 
zeichnete. Und der Unterricht begann: wie im Spielen lernte 
man das Klöppeln. Darüber wurde so manche Sorge vergessen: 
denn mit jedem Tage ward der Zweifel geringer und die Hoff¬ 
nung größer: und nun erschallte nach langer Zeit hier wieder ein 
artiger Scherz, dort ein heiteres Liedchen. Und als zwei Monate 
verflossen waren, — oh. wer beschreibt die Freudenrufe, die da 
durch Annaberg ertönten! Denn zwei, die man derweil mit den 
fertigen Spitzen hinausgeschickt hatte, waren eben, und zwar mit 
leeren Ranzen, wieder heimgekehrt, aber dafür mit so vollen 
Taschen, daß man meinte, der Reichtum müsse bis in alle Ewig¬ 
keit währen. 
Die Brabanterin konnte diese Freude nicht mehr teilen. Un¬ 
weit der großen Linde, die noch heute inmitten des Kirchhofs steht, 
wurde sie wenige Tage vorher bestattet: der Gram um den Ver¬ 
lust ihres Mannes und all das Entsetzliche, das über sie herein¬ 
gebrochen war. hatten den Todeskeim in ihr Herz gesenkt. Und 
das hatte ruhiger brechen können: denn ihre Kinder lagen ja in 
Barbaras Armen. Gepriesen sei diese Frau! Solange die Sonne 
am Himmel stand, legte sie die Klöppel nicht aus der Hand, und 
das mußte der beste Sporn für alle übrigen sein. Und mit der 
Freudigkeit und Hoffnung wuchsen die Spitzenvorräte, obgleich 
die rüstigsten Männer immer mit der fertigen Ware wieder von 
dannen zogen, durch ganz Sachsen und Böhmen. Erst der strenge 
Winter gebot ihnen Einhalt. 
Und als dann der Frühling und der Sommer wiederkamen — 
welch ein Abstand gegen das vorige Jahr! Kerngesundes Vieh im 
Stalle und auf den Wiesen, Segen auf den Feldern und die 
Menschen glücklich! Denn eben war der Herr Studierte, der auf 
des Bergherrn Bitte aus Kölln an der Spree zur nochmaligen 
Untersuchung der Gruben gekommen war, wieder abgereist, nach¬ 
dem er sich noch nicht gerade zum allerbesten über die Weisheit 
seiner Kollegen in Dresden erklärt hatte. Denn die Gruben im 
Schrecken- und Schottenberge waren nicht ausgebraucht: man
	        
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