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sprechen als einer." — „Das ist wahr, Herr Nachbar," sagte der
Siebenschläfer, „ich war auch lieber im Bette als in der Schule.
Aber heutiges Tages läßt man den Kindern gar keine Ruhe mehr,
und straft sogar die Eltern, wenn die Kinder die Schule versäumen.
Ich weiß nicht, was daraus noch werden soll."
Als die zwei so sprachen, da klopfte der Gerichtsdiener an das
Haus des Tagediebs uud rief: „Mache auf, hier ist ein Befehl."
Der Tagedieb erschrak, denn in dem Befehl stand: wenn er seine
Schulden nicht in Zeit von drei Wochen bezahle, so solle ihm Haus
und Hof verkauft werden. Er lief also schnell zu seinem Nachbar
Siebenschläfer, mit welchem er eben erst jene Unterredung geführt
hatte. „Nachbar," rief er, „um Gotteswillen helft mir! ich muß ja
sonst von Haus und Hof." Der Siebenschläfer gähnte noch einmal
und erwiderte dann: Ja, helfen! Das wollte ich wohl gerne, aber
ich kann nicht. Das Geld ist so rar, und wenn ich meine, ich hätte
ein paar Thaler, so sind sie schon wieder fort. Wenn es nicht so
weit wäre, ich ginge selbst nach Amerika." Als der Tagedieb von
Amerika hörte, fiel ihm ein, dahin könne er auch gehen, und er redete
dem Nachbar zu, sie wollten zusammen auswandern. Denn er
meinte, dort brauche man nichts zu arbeiten und habe doch satt zu essen.
Und weil der Siebenschläfer glaubte, in Amerika brauche man nicht
frühe aufzustehen und werde doch fertig, so war er es endlich zufrieden.
Da zogen die zwei, der Tagedieb und der Siebenschläfer, nach
Amerika. Als sie aber dorthin kamen, wurde ihnen gesagt: Hier
können wir keinen Tagedieb und keinen Siebenschläfer brauchen; zieht
weiter! Aber sie konnten nicht weiter ziehen, denn sie hatten kein Geld
dazu. Da sah es übel aus. Zuletzt erbarmte sich ihrer ein Mann,
und nahm sie als Tagelöhner an. Allein der Tagedieb durfte
kein Morgenpfeifchen mehr rauchen, und der Siebenschläfer nicht
mehr den Kopf mit der Nachtmütze aus dem Fenster strecken. ■ Und
sie wären nun froh gewesen, wenn sie in der Schule etwas mehr
gelernt hätten. Denn dann hätte ihr Brodherr sie noch zu etwas
andcrm brauchen können, als blos seinen Mist aufzuladen und seine
Säue zu hüten.
Arbeitsamkeit bringt Ehr' und Brod,
Müßiggang nur Schand und Noth.
8. Die Stufenleiter.
Eine Fliege sass behaglich auf einem Baume im Sonnenschein
und dachte an nichts Arges; da kommt ein Spatz herbeigehüpft,
und fasst sie an den Beinen, und ist eben im Begriffe, sie ganz
zu verschlucken. In ihrer Noth schreit die arme Fliege: Ach,
lieber Herr Sperling, lass mich doch leben! ich habe ia nichts
Übles begangen." Der Spatz aber lässt sich nicht rühren, sondern
verschlingt sie mit den Worten: „Das ist nicht anders, du bist
mein, denn ich bin gross und du bist klein."