Full text: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen

XL Die Gemeinde und ihre Pflichten, die Genossenschaft und ihr Segen. 329 
„Ja!" erwiderte man. 
„Hat er in seiner Jugendzeit gearbeitet und gut getan?" 
„Auch das," sagte man.. 
„Wieviel hat er Lohn gehabt von seinein zwanzigsten Jahre an?" 
„Fünfzig Gulden, freie Kost und Wohnung, einige Hemden das 
Jahr und zeitweise ein Handgeld, wenn ein Stück Vieh verkauft oder 
eine Extra-Fuhre getan wurde." 
„Gut!" sagte Dammbeck und schrieb mit den Fingerspitzen auf 
dem Tische, als ob er rechnen wolle: „Wenn nun ein Mensch vom 
zwanzigsten Jahre an alljährlich fünfzig Gulden einnimmt, und er 
bleibt bis in sein sechzigstes Jahr gesund und stark, so daß er seine 
Arbeit ordnungsmäßig verrichten kann, was möchte wohl einer bei¬ 
sammen haben, der, gesetzt den Fall, alljährlich seine fünfzig Gulden 
ersparen würde?" 
„Zweitausend Gulden!" sagte der Prezl, ein rüstiger Kopfrechner. 
„Gut," bemerkte der Dammbeck. „Nehmen wir nun an, der 
Mellinger hätte alljährlich nur zwanzig Gulden verbraucht und dreißig 
erspart, — wieviel Geld müßte er in seinem sechzigsten Jahre bei¬ 
sammen haben?" 
„Eintausend zweihundert Gulden!" erwiderte Wolsgang Prezl 
schnell. 
„Und warum hat er die nicht beisammen?" fragte Dammbeck 
weiter. 
„Warum?" sagte der Wämser, der immer Unglück hatte, wenn er 
schnelle Antworten gab: „Weil er ja im Alter betteln mußte!" 
„Das ist keine Antwort!" sagte Dammbeck. „Mellinger war bis 
in sein sechzigstes Jahr kräftig; er hätte sich so lange als Oberknecht 
fjoiteu und ganz wohl dreißig Gulden jährlich sparen können! Warum 
hat er nicht gespart, warum hat er endlich betteln müssen?" 
„Ich weiß es!" sagte der Reinert, der den Dammbeck zu erraten 
schien. „Der Mellinger hat von Jugend auf gern heimlich Lotterie 
gespielt, und das hat ihn fast all sein Geld gekostet; was er nicht für 
Lotterie und Gewandung ausgegeben, das hat er im Zorn vertrunken, 
weil das Glück ihm nicht entgegenlaufen wollte." 
„Da haben wir's!" rief Dammbeck aus. „Hätte Mellinger ge¬ 
spart, so hätte er jetzt mehr als noch einmal so viel beisammen, als 
der Gewinn aus der Lotterie ausmacht, — und was besonders zu be¬ 
denken ist: er würde seit lange von dem Gelde auch hübsche Interessen 
ziehen! Hat der Herr Mellinger also wirklich Glück gemacht durch die 
Lotterie oder nicht?" 
„Eigentlich nicht!" sagten einige Nachbarn stutzig. 
„Ich glaube auch nicht," fuhr Dammbeck fort; „aber wir sind 
noch nicht am Ende. Was sagt ihr, wenn ich frage: ob das Betteln 
eine Schande sei oder nicht?" 
„Je nachdem," sagte Reinert, abermals dem Hintergedanken 
Dammbecks auf der Spur; „Alter und Krankheit machen das Betteln 
nicht zur Schande, aber —" 
„Leichtsinnig verschuldetes Unglück!" fiel Dammbeck ein; „Mellin-
	        
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