Full text: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen

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I. Der Bauernstand sonst und jetzt. 
hörten Wein, Obst und Gemüse; Blutzehnten nannte man die Abgabe 
an Rindern, Pferden, Hühnern, Eiern, Honig usw. Der Laienzehnte 
gehörte dem Landesherrn. 
Gegen den Kirchenzehnten hatten viele deutsche Stämme einen 
unbesieglichen Widerwillen, so daß er nur unter steten Kämpfen er¬ 
hoben werden konnte. Je reicher die Kirche durch Schenkungen und 
Vermächtnisse wurde, desto öfter erließ sie den Zehnten. Aber die 
Schutzvögte der Kirchen und Klöster rissen diese Steuer meist an sich 
und trieben sie unbarmherzig ein. 
Ein betrüglich und gefährlich Ding war der Rutscherzins. 
Der war an sich fast ohne Wert. Es mußte z. B. ein Pfennig, ein 
Ei u. dgl. dem Herrn an einem bestimmten Tage und zu bestimmter 
Stunde und unter bestimmten äußeren Formen überreicht werden. Es 
war das nur ein Zeichen der Abhängigkeit. Unterließ es der dazu 
Verpflichtete aber, so verdoppelte sich der Zins mit jedem Tage oder 
gar mit jeder Stunde und konnte so in wenig Wochen auf eine un¬ 
erschwingliche Höhe steigen oder rutschen. 
Zu den stehenden Lasten gehörten die Fronden. Nicht immer 
waren sie gemessene Dienste, die sich auf drei Tage der Woche er¬ 
streckten; es lag sehr oft in der Willkür des Herrn, die Dienste zu 
bestimmen. Da wurden als Frondienst gefordert Heu-, Ernte-, Dresch-, 
Pflug-, Spaten-, Bau-, Handarbeiten- und Spanndienste. Es mußten 
sogar die edlen Fräulein in die Kirche getragen, Schneckenhäuschen 
zum Garnwickeln gesammelt, die Frösche am Abend gestillt und die 
Betten der Herrschaft von den Flöhen befreit werden. 
Die Bauern durften in den Gewässern ihres Gebiets weder Fische 
noch Krebse fangen; wurde einer dabei ertappt, so verlor er den Daumen. 
Er durfte auf seinem Felde nicht jagen. Hatte er einen Hirsch er¬ 
legt, so wurde der Schütze auf einen lebenden Hirsch gebunden, den 
man ins Dickicht hetzte. Das war eine grausame Todesstrafe. Starb 
ein Höriger, so hatte nicht seine Nachkommenschaft, sondern sein Herr 
das erste Erbrecht. 
Karl der Große halte sein weites Reich in Gaue geteilt. Jedem 
Gau stand ein Gau graf vor, welcher die höchste richterliche und 
Militärgewalt besaß. Unter ihm standen die Cent- oder Hundert¬ 
grafen, von welchen jeder etwa 100 Familien in seinem Verwaltungs¬ 
bezirk hatte. Unter dem Vorsitz des Gangrafen übten die Centgrafen 
unter Mitwirkung der Schöffen (das waren die freien bäuerlichen 
Grundbesitzer) die Gerichtsbarkeit. Zur Beaufsichtigung der Gau- und 
Centgrafen reisten Sendgrafen umher. Sie hatten die neuesten 
Gesetze zu verkünden und zu erläutern, die Pflichten des Heerdienstes 
einzuschärfen und Streitigkeiten zu schlichten. Sie hatten darauf zu 
sehen, daß niemand Gewalt noch Unrecht geschah, den Räubern ihr 
schäolich Handwerk gelegt und den Händlern kein ungerechter Zoll ab¬ 
gezwungen wurde. Ihrer Aussicht unterstanden die Pflege des Waldes, 
der Bau von Brücken und Wegen, die Erhebung von Zöllen, die Ver¬ 
waltung der Wirtschaftshöfe und die Wirksamkeit der Klöster. Überall 
sollten sie je nach Befund loben, tadeln, anregen, mahnen und strafen.
	        
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