Künstlernaturen. Die Wasseramsel liebt ihr eigenes Lied, das dem
Rauschen und Rieseln eines auf steinigem Boden dahinfließenden Bäch¬
leins gleicht. Sie liebt es! Früh beginnt sie ihr Tagewerk damit, und
abends geht sie damit zur Ruhe — „und wenn das Vöglein krank und
alt geworden und an einem schönen Abend aufgehört hat zu singen
und zu tauchen, so nimmt es die fromme und vertraute Welle in ihren
Schoß und trägt es lind und sanft dem Flusse zu" (Tschudi).
Aber unsere Wasseramsel ist mittlerweile fertig geworden mit ihrem
Liedchen. Die frische Winterluft, die muntere Bewegung und der lustige
Sang machen Appetit, und sie weiß, wo ihr Tisch gedeckt ist. Jetzt
paß auf, jetzt kommt das Hauptstückchen!
Jetzt macht sie einen Satz wie ein Frosch platt auf das Wasser, wo
es am tollsten wirbelt und tost und ist verschwunden. Du kannst ruhig
bis sechzig zählen, ehe sie wieder zum Vorschein kommt.
Da ist sie! Zehn Schritt weiter oben taucht sie wie ein Kork aus
dem Wasser mit einem fingerlangen, zappelnden Fischchen, einer Elritze
anscheinend, im Schnabel. So beladen, läuft und flattert sie zurück zu
ihrem Stein, schlügt die Beute rechts und links einigemal gegen ihn,
daß die Stücke darum herumfliegen, und jetzt beginnt das Frühstück.
Lange aber wird der Happen nicht vorhalten, denn unsere Freundin ist
bei aller ihrer Poesie eine kleine Fresserin; sie bewegt sich viel und im
Kalten, und so muß ihr Stoffwechsel ein äußerst nachdrücklicher sein. Ihre
Bewegungsart unter Wasser ist eigentümlich; das Tierchen schwimmt
mit den kurzen Flügeln, sie aus dem Achselgelenke bewegend, dabei ist
der Kopf vorgestreckt, die Körperachse schräg nach vorn gegen den Boden
gerichtet, und die Füße stoßen abwechselnd hinten aus. Pfeilschnell ver¬
folgt es so, gleichsam unter Wasser fliegend, die Fische und Kerbtiere,
und am liebsten wendet es sich dabei dem oft so reißenden Strom entgegen.
Das ist doch eine seltsame Art des Broterwerbs für einen Sing¬
vogel, und es läßt sich vermuten, daß sie mit gewissen Eigentümlich¬
keiten in seinem Bau zusammenhängen wird. Freilich wer's nicht wüßte,
würde ein solches wasserfrohes Geschöpf in dem Tierchen nicht vermuten,
wie es in Wahrheit ist. Die Gestalt seines Leibes ist doch ziemlich weit
entfern: von der Kahnform der Enten, Taucher, Alke und Pinguine,
und seine Füße sind echte Singvögelfüße, ohne Spur von Schwimm¬
häuten zwischen den Zehen. Unser kleiner Freund hier ist aber auch weit
vielseitiger in seinen Bewegungen unter Wasser als irgendein anderer
tauchender Vogel. Er stürzt sich nicht nur auf einmal in die Flut, er