Full text: Lesebuch für gewerbliche Unterrichtsanstalten

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scheiben reihen sich aneinander, und drinnen in den Geschäften ent¬ 
wickelt sich ein lebhafter Austausch von Ware und Geld. Denn 
Posen ist der Mittelpunkt des Handels für die Provinz und für die 
Ausfuhr nach Osten und Westen hin. Hier werden große Verkäufe 
in Getreide, in Futterartikeln, in Wolle und vielen andern Landes¬ 
produkten abgeschlossen; steht doch Posen hinsichtlich seiner Fruchtbarkeit 
unter den preußischen Provinzen mit obenan. Allein 72°/0 des ge¬ 
samten Grund und Bodens dienen dem Acker-, Garten- und Wiesen¬ 
bau, und die Ergiebigkeit des Landes, ganz besonders im Netze-, 
Warthe- und Obrabruche, hat zahlreiche Brennereien und Brauereien 
entstehen lassen. Auch die wasserreichen Gegenden und die nicht un¬ 
bedeutenden Wälder liefern dem Handel Ausfuhrartikel mannigfacher 
Art. Selbst mineralische Produkte, wie Steinsalz, Braunkohle, Torf 
und auch Bernstein werden im Lande gewonnen. Das Steinsalzlager 
von Jnowrazlaw, 1871 entdeckt, wird bergmännisch abgebaut und 
liefert einen reichen Ertrag. 
Aber auch Kunst und Wissenschaft haben sich in der Stadt Posen 
heimisch niedergelasien. Da sind unter den älteren Denkmälern der 
Baukunst das Rathaus, der Dom und die Pfarrkirche zu nennen. 
Das Rathaus, anfänglich im gotischen Stile erbaut, wurde nach einem 
Brande von einem italienischen Baumeister in den Jahren 1550 bis 
1552 als Renaissancebau wieder errichtet. Seine Hauptfront zeigt drei 
Bogenhallen übereinander, überragt von einer hohen Blendmauer, die 
wie die Bogenreihen selbst einst mit Malereien geschmückt war. Der 
Turm des Gebäudes mit dem polnischen Adler als Wetterfahne ist 
65 m hoch und gewährt einen umfassenden Blick auf die Stadt und 
ihre Umgebung. Im Gewölbe der Vorhalle des ersten Stockes und 
im ehemaligen Sitzungssaals der Stadtverordneten befinden sich an 
den Wänden erhabene Bilder, die biblische und mythologische Szenen 
darstellen, während das frühere Sitzungszimmer des Magistrates 
noch ein Standbild des letzten Polenkönigs enthält. Eine Pranger¬ 
säule vor dem Rathause erinnert daran, daß auch in Posen einst die 
mittelalterlichen Strafen, wie das Prangerstehen, zur Anwendung ge¬ 
kommen sind. Die ehemalige Folterkammer aber im Rathause dient 
heute andern Zwecken; denn dort ruhen hinter Schloß und Riegel 
wohlverwahrt die städtischen Kassengelder und Fonds. 
Der Dom, auf der Dominsel gelegen, ist zwar als Gebäude von 
nicht besonderer Sehenswürdigkeit, doch birgt er im Innern viele 
Kunstschätze. Da ist zu nennen die goldene Kapelle hinter dem Hoch¬ 
altäre, geschmückt mit schönen Gemälden, ferner die von Rauch ent¬ 
worfene, vergoldete, eherne Doppelstatue der beiden ersten christlichen 
Polenkönige, Mieczyslaw I. und Boleslaw I., und endlich ein Mosaik¬ 
bild über dem Altar, das allein 800 Dukaten gekostet hat. In der 
katholischen Pfarrkirche aber hat Posen ein Bauwerk von prunkhaftem 
Stile. Die daran anstoßenden Gebäude beherbergen jetzt die König¬ 
liche Regierung und enthalten die Wohnung des Oberpräsidenten. 
Weitere Sehenswürdigkeiten Posens sind die Raczynskische Bibliothek 
mit 24 gußeisernen Säulen an der Front und 30000 Büchern, ferner
	        
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