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Die Bedürfnisse des Menschen und die Arbeit.
der Große diesen wunderlichen Mann und ließ ihn sich eine Gnade ausbitten;
aber wie lautete der Wunsch des Weisen? — „Ich danke dir, König Alexander;
aber willst du mir eine Gnade erzeigen, so gehe mir ein wenig aus der Sonne!"
Für jenen griechischen Weisen war die Bedürfnislosigkeit das Zeichen
der höchsten Vollkommenheit des Menschen. Wenn nun das ganze menschliche
Geschlecht von jeher so gehandelt hätte, wie er, wie sähe es dann jetzt wohl
um die Menschheit aus? Die unkultivierten Völker der Tropenländer können
uns einigermaßen Antwort geben. Mit geringen Mitteln und leichter Mühe
schlagen sie ihre Hütten auf; ihre Kleidung verursacht ihnen wenig Sorge;
der fruchtbare Boden bietet ihnen Nahrung im Überfluß, und so leben sie
sorgenfrei aus der Hand in den Mund und denken kaum daran, Reichtümer
zu sammeln. Daß ihnen die Arbeit nicht über den Kopf wächst, kann man
sich hiernach denken, und daher ist auch vieles Arbeiten nicht eben ihre Sache.
Ob es nun wohl unsern Vorfahren, den alten Germanen, ebenso
leicht geworden ist, ihre Bedürfnisse zu befriedigen? Wohl schwerlich. Das
rauhe Klima Germaniens, die nordischen Winterstürme erforderten festgefügte,
widerstandsfähige Wohnungen; dem Winterfrost mußten die Bewohner des
Landes durch wärmere Kleidung und ein ständiges Herdfeuer trotzen. Letzteres
diente auch zur Bereituug der Speisen, da die Früchte des Bodens, das Fleisch
des Wildes in rohem Zustande nicht zu genießen waren. Der lange, rauhe
Winter veranlaßte die Menschen dazu, Vorräte zu sammeln. Wieviel Mühe
und Anstrengung verursachte also unsern Vorfahren die Erhaltung des Lebens I
Sie mußten es infolge der anders gearteten äußeren Verhältnisse, in denen
sie lebten, in viel höherem Grade als die Volksstämme der Tropen erfahren,
daß die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse oft recht ernste Arbeit erfordert.
Wie verhält es sich nun in dieser Hinsicht gegenwärtig, also nach
Jahrtausenden? An die Stelle der Blockhäuser unserer Vorfahren sind feste
Steinhäuser getreten, die nun auch noch auf mancherlei Art verziert sind. Aus
einer Überfülle kunstvoller Gewebe, feiner Pelze und bearbeiteter Tierhäute wählen
wir unsere Kleidung. Was will die kunstlose Feuerstätte der Germanen gegen
unsere wärmenden und oft prächtig ausgestatteten Öfen besagen! Und nun erst
unser Speisezettel! Alle Länder und Völker der Erde liefern Beiträge dazu. Welche
Vorräte werden jetzt aufgestapelt, und welche Reichtümer werden aufgehäuft!
Woher dieser gewaltige Umschwung? Die Völker der gemäßigten Zone
verdanken ihn in erster Linie dem Ümstande, daß die Vorväter einen harten
Kampf um ihr Dasein zu bestehen hatten, der den Bewohnern der Tropen¬
länder erspart blieb. Aber gerade deswegen ist auch die Kulturentwickelung der
letzteren erheblich zurückgeblieben, und man ist daher leicht geneigt, die Natur-
Völker den kultivierten Völkern gegenüber für nicht gleichberechtigt zu halten.
— Ferner aber findet der Mensch nicht Genüge in der bloßen Befriedigung
der körperlichen Notdurft, sondern er trachtet damit Genuß zu verbinden; er
strebt danach, sich das Leben möglichst bequem zu gestalten, und endlich ist
er empfänglich für das Schöne und ergötzt daran Sinne und Geist. Das sind
die wichtigsten Triebfedern, welche immer neue Bedürfnisse hervorgerufen haben
und noch hervorrufen, sie oft zum Übermaß steigern und die Menschen so zum
Luxus und zur Verschwendung führen. Allein mit der Vermehrung der mensch¬
lichen Bedürfnisse nimmt auch die Kultur zu. Der Erfindungsgeist wird geweckt
und erreicht glänzende Erfolge; die Völker der Erde tauschen ihre Güter aus;
Handel und Verkehr blühen auf, und die Künstler bringen herrliche Werke hervor.
2. Durch welches Mittel aber erreichen die Menschen die Befriedigung