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liebes Aind, dort an der wand hängen drei Felleisen; deine Väter trugen
sie mit Ehren durch die Welt, brachten mit Ehren sie heim und bewahrten
sie in Ehren zum Andenken für Aind und Aindeskinder. scher ist nun dein
Felleisen; das vierte soll es werden in der Reihe; dort steckt in der wand
bereits die Schraube, an der es hängen soll. wahre es nur in Ehren und
bringe es heim wie deine Väter zum Andenken deiner Ainder und Aindes-
kinder! Solange du ein Felleisen trägst, bist du ein ehrenwerter Geselle;
trägst du die Trümmer deiner chabe in einem Schnupftuche herum, dann
bist du ein Landstreicher und Bettler, und vor solchem Zustande möge dich
der liebe Gott bewahren! was deine Väter vor diesem Zustande bewahrte,
das möge auch dich davor bewahren! Vergiß morgens und abends das
Beten nicht! Schaffe sechs Tage in: Schweiße dein Brot; den siebenten
aber heilige deinem Schöpfer! So du Arbeit findest, verfchinähe sie nicht!
Ein Geselle, der Arbeit verschmäht, ist wie ein Bettler, der Brot neben die
Straße wirst. Die kleinste Arbeit schaffe, als sei sie dein Meisterstück, rasch
und gut! Ehre den Meister und die Meisterin! weide Spiel und Trunk!
Sorge, daß, wo du gewesen, du wieder hindarfst, daß nie Flüche dich ver¬
folgen, daß der Segen frommer Menschen dein Geleite sei!"
So sprach langsam und in Absätzen die Großmutter, und das bchrz des
jungen Gesellen ward guter Vorsätze voll. Darauf faltete die Großmutter
die chände und betete: „Ach du, mein Herr und mein Gott, sei mit meinem
Ainde auf allen seinen wegen und Stegen I Drücke du am Abend ihm die
Augen zu; am Morgen wecke du es wieder! Zn deine Hände befehle ich
es mit Leib und Seele. Führe uns wieder zusammen, o Herr, mein Gott,
wenn nicht aus Erden, doch im Himmelreiche und dann in alle Ewigkeit!
Amen."
Als die Töne des Gebetes verklungen waren in ihrem Kerzen, küßte
die Großmutter ihren Enkel, und ihre Stimme bebte, als sie zu ihm sagte:
„Gute Nacht, liebes Aind! Vergiß Gott nicht und auch mich nicht, so
sehen wir uns einmal wieder, hier oder dort!" Jakob aber weinte laut,
und wie ein liebes, gutes Aind hing er an: Halse der Großmutter.
Jerem. Gotthelf.
90. An den Lehrling.
1. Nie frag’ zuerst nach hohem Lohne
im Haus, wo du an Kunst gewinnst,
und nie, was drin an Reichtum wohne,
wenn Ordnung du und Sanftmut findst I
Was ist ’s, warum zum Wanderleben
du von der Heimat dich entfernt?
Um einst dem eignen Haus zu geben
das, was im fremden du gelernt.
2. Drum lass dein Ohr stets offen stehen,
da, wo die Hand geschäftig ringt,
und manches wird dein Geist erspähen,
das künft’gen Tagen Nutzen bringt.
Ob Fried’, ob Hast im Hause walten,
sei deines Forschens erstes Ziel,
um einst vom eignen fern zu halten,
was dir im fremden nicht gefiel.