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Kirchengeschichte.
No. 178. 179.
Oie evangelischen Gotteshäuser sollten keineswegs des Bilderschmucks
entbehren. Unser Luther seihst hat den Wunsch ausgesprochen, „dass die
ganze Bibel inwendig und auswendig an den Häusern vor jedermanns Augen
gemalt würde,“ und die Bilderstürmerei verurteilt. Sein Freund Lukas Kranach
in Wittenberg hat für manche evangelische Kirche ein neues Altarbild gemalt.
Biblische Geschichten, begleitet von Bibelsprüchen, die Gestalten der Apostel
und die Heilswahrheiten des Glaubensbekenntnisses wurden gerne dargestellt
an Wänden und Geräten, mit Vorliebe an den Emporenbrüstungen (diese be¬
sonders reich und schön in Freudenstadt). An den Kanzelbrüstungen bildete
man die Evangelisten ab, am Fuss Moses, auf dem Schalldeckel den auf¬
erstandenen Heiland, an der Orgel König David mit der Harfe, am Altar das
Leiden Christi. An den Wänden aussen und innen reihten sich Grabdenkmäler
aneinander. Darauf sieht man gewöhnlich die Verstorbenen vor dem Heiland
am Kreuze knieend. Ausgezeichnete Bildhauer waren Simon Schlor von Hall,
der die Standbilder der württembergischen Grafen in der Stiftskirche zu Stutt¬
gart geschaffen hat, und mehrere Glieder der Familie Kern von Forchtenberg.
In den schrecklichen Kriegszeiten des 17. Jahrhunderts ist bei uns die
kirchliche Kunst fast ganz untergegangen. Mit dem Vermögen entschwand dann
auch der Sinn und das Verständnis dafür, gerade im Zeitalter der gerühmtem
Aufklärung. Unsere Zeit hat das Werk der Väter vielfach wieder aufgegriffen,
die Denkmäler wiederhergestellt und die Münster ausgebaut, so das Ulmei\
heute Deutschlands grösste evangelische Kirche. Die Gegenwart ist aber auch
bemüht, dem evangelischen Gottesdienste neue, seiner Eigenart entsprechende
Stätten zu schaffen (Friedenskirche in Stuttgart), und freut sich, sie mit sinnigem
Bild- und Schriftwerk, mit würdigen Gelassen und Behängen für Altar, Tauf¬
stein und Kanzel auszuschmücken (Christlicher Kunstverein, Gustav-Adolf-
Frauenvereine). Dr. E. Gradmann.
179. Johann Ualrntin Andrea,
eine Leuchte der evangelischen Kirche Württembergs in trüber Zeit.
Unter den Männern, die in der Jammerzeit des 30jährigen Krieges
an unserem aus tausend Wunden blutenden deutschen Volke und an unserer
tief darniederliegenden evangelischen Kirche Samariterdienste gethan haben,
ist wohl Valentin Andreä an erster Stelle zu nennen. Geboren im Dekanat¬
hause zu Herrenberg bezog Andreä schon mit 15 Jahren die Universität
Tübingen. Ein unersättlicher Wissensdurst trieb ihn zu emsigem Studium.
Auf Reisen in deutschen und außerdeutschen Ländern, zu welchen er das Geld
sich am Munde abgespart und durch Unterrichten verdient hatte, erwarb er
sich viel Welt- und Menschenkenntnis und knüpfte manche für ihn segensreiche
Verbindung mit trefflichen Männern an, wie er denn sein Leben lang einen
ausgeprägten Sinn für christliche Freundschaft und Gemeinschaft hatte. Ins¬
besondere hat der Aufenthalt in Genf einen bleibenden Eindruck auf den