Full text: Lesebuch für kaufmännische Schulen

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139. In der Münze. 
Hier ist ihnen keine lange Ruhe vergönnt. In offenen Pfannen 
oder kupfernen Zylindern unter Luftabschluß werden sie nochmals 
geglüht, um allen Schmutz, der ihnen anhaftet, zu verbrennen und 
das Metall weicher zu machen, und dann erhalten sie den Auftrag, 
sich für den letzten feierlichen Akt, das Prägen, zu waschen. Sie 
wandern in die Beize, wo zwei Männer ihnen bei der Toilette 
hilfreich zur Seite stehen. Sie nehmen aber keine Mandel- oder 
Veilchenfeife zum Wüschen, sondern gehen ihnen mit verdünnter 
kochender Schwefelsäure zu Leibe. Nachdem die Säure das Kupfer 
aus der Oberfläche gebeizt hat, erscheinen die Plättchen hellgelb 
und glänzend. Nun werden sie mit Wasser tüchtig gewaschen, auf 
heißen Tischplatten ausgebreitet und durch Abreiben mit wollenen 
Tüchern getrocknet. 
Der Erniedrigung folgt endlich der gerechte Triumph. Ge¬ 
rändelt und gereinigt gleiten die Plättchen in das Zubringerohr der 
fieberhaft arbeitenden Prügmaschine, welche sie einzeln 
nach der Reihenfolge zwischen zwei mit gewaltiger Kraft gegen¬ 
einander strebende Stahlstempel führt, die sie so fest umfassen, daß 
sich das Edelmetall oben und unten in die Vertiefungen der Stempel 
preßt, was man „Präge n" nennt. 
Da rollen die zur Würde von Münzen erhobenen Goldstücke 
aus der Maschine heraus und betten sich in ihrer jungen Größe 
verführerisch nebeneinander. Wer ihnen etwas an ihrer Würde oder 
Ehre „abschneiden" wollte, würde mit den Gesetzen in Widerspruch 
geraten. Der Münzbuchstabe A, Zeichen der Münzstätte Berlin, 
der auf dem Avers so bescheiden unter dem Bilde des Kaisers hervor¬ 
blickt und nur auf einigen Scheidemünzen die Keckheit hat sich zwei¬ 
mal zu zeigen, macht es dem Zehnmarkstück unmöglich seine Vater¬ 
stadt Berlin zu verleugnen. B bezeichnet Hannover, G Frankfurt, 
D München, E Muldener Hütte in Freiberg i. S., E Stuttgart, 
G Karlsruhe, H Darmstadt und J Hamburg. In Hannover, Frank¬ 
furt und Darmstadt wird nicht mehr geprägt. 
In großen Behältern, welche Fleischerschüsseln ähnlich sehen, 
werden die glitzernden Goldstücke nun in das Münzkontor gebracht, 
wo sie gezählt und aufbewahrt werden. Bald wird sie die Reichs¬ 
bank in ihre Kassen und Keller überführen und nach und nach in 
den Verkehr bringen. Dann wandern sie durch ehrliche und unehrliche 
Finger, aus den Geldschränken der Bankiers in die Strümpfe alter 
Frauen, von der schwieligen Hand des Arbeiters in das wohlge¬ 
pflegte Händchen vornehmer Damen. Lange Jahre liegen sie ruhig 
in den Kisten zinsenverschmähender Geizhälse, bis sie dann plötzlich 
verurteilt werden, ein unruhiges Dasein in der Börse des ver¬
	        
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