Full text: Lesebuch für kaufmännische Schulen

8. Als der Urgroßvater Kaufmann war. 
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fung vor den Jnnungsmitgliedern zum Handelsgesellen 
befördert. Ein solcher Akt war nun natürlich ein Ereignis, das 
damals feierlicher behandelt wurde, als wenn heute ein junger 
Mann eines Morgens ganz oberflächlich von seinen Kollegen be¬ 
glückwünscht wird. Die „Kaufmannsdiener" holten den „Über¬ 
gangsmenschen" am Abende vor der offiziellen Lossprechung in 
mehr oder weniger originellem Aufzuge ab um auch ihrerseits 
den angehenden Kollegen zu prüfen und dann die Prüfung im 
Jnnungshause kräftig auf seine Kosten zu begießen. Der Zug 
ging meist unter derben, urwüchsigen Scherzen, die unsrer gegen¬ 
wärtigen, verfeinerten Ansicht zum Teil sogar sehr roh erscheinen, 
zu dem Speicher eines Kaufmanns. Dort wurden sogenannte 
„Spiele" veranstaltet, von denen das Rauchspiel, das Staupen- 
fpiel und das Wasserspiel die gebräuchlichsten waren. Bei all diesen 
Spielen war der neue Kollege der Leidtragende. 
Beim Rauchspiel, das meistens angewandt wurde um den 
Lehrling zu prüfet:, ob „er auch genügend Mut für den ferneren 
Lebensweg besaß", wurde ein aus stark und möglichst scharf qual¬ 
menden Stoffen, wie Borsten, Horn, Lederabfällen, Tuchresten usw., 
hergestellter Scheiterhaufen unter vielen spaßigen Zeremotlien vom 
Zugführer angebrannt, nachdem vorher alle Luken und Fenster 
des Speichers dicht verschlossen worden waren. Dann plötzlich 
fiel man über den ahnungslos dastehenden Gesellenkandidaten her, 
knüpfte ihm ein von der Decke herabhängendes Seil um den Leib, 
und ehe der junge Mann recht wußte, was ihm geschah, schwebte 
er auch schon oben mitten im dicksten Qualm. Die schadenfrohe 
Schar der „Gesellen" wollte sich dann ausschütten vor Lachen über 
die verzweifelten Anstrengungen des oben zappelnden jungen 
Kollegen. Der beißende Ranch reizte ihn zum Husten und brannte 
ihm fürchterlich in den Augen. Ganz der Laune der Untenstehenden 
preisgegeben, mußte der so Behandelte mitten im Rauche ver¬ 
schiedene Fragen beantworten, von deren Ausfall die Befreiung 
aus der unglücklichen Lage abhängig war. Selbstverständlich wurde 
diese Peinigung so lange als möglich ausgedehnt, manchmal wurde 
der Gequälte mehrmals an die Decke gezogen. War schließlich 
unter Zeremonien der arme Prüfling von dem Seile befreit, so 
wurden ihm beim Austritt auf den Hof oder die Gasse einige Kübel 
Wasser über den Kopf gegossen und pudelnaß, wie der bedauerns¬ 
werte, mitunter in Lebensgefahr gebrachte Kerl war, wurde er 
gefesselt zum zweiten Spiel geführt, das noch roher war: das 
Wasserspiel, das auf dem Deck eines Schiffes vor sich ging. 
Unter Jauchzen und spöttischen Bemerkungen wurde dort der 
von seinen Fesseln befreite angehe::de Kaufmannsgeselle ins Wasser
	        
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