48 23. Vertrau auf Gott, er hilft in jeder Not!
Der Dreißigjährige Krieg verheerte nun schon seit 20 Jahren
unser armes Vaterland durch Raub, Mord und Brand von einem
Ende zum andern; Städte und Dörfer waren zu Hunderten ver¬
wüstet und verlassen von den Bewohnern, die mit dem Vieh in die
Wälder geflohen waren um sich vor den räuberischen Händen der
gottlosen Landsknechte zu retten. Unter solchen Verhältnissen und
bei der Unsicherheit der Straßen in allen Ländern war es kein
Wunder, daß der Handel stockte und vorzüglich der Betrieb ins
Innere von Deutschland gelähmt war. Das fühlte man auch im
Kontor des Herrn Hermann Gruit, da schon seit längerer Zeit viel
seltener und weniger bepackt die Saumrosse und Frachtwagen vor
dem Hause hielten, und drinnen war es oft wochenlang so still wie
in einer Kirche, während es sonst manchen Tag in und vor dem
Hause fast so lebhaft herging wie auf dem großen Markt. Da ge¬
schah es eines Morgens, daß Herr Jansen im Kontor lange den
Kopf schüttelte und dann noch länger gedankenvoll von seinen
Briefen weg hinauf an die braun getäfelte Zimmerdecke so anhaltend
schaute, als wollte er die Fliegen oben zählen; dann tunkte er sechs¬
mal hintereinander mit seinem Schwanenkiel in das große silberne
Tintenfaß, stampfte die übervolle Feder gewaltig auf den Tisch
und machte dadurch den vor ihm liegenden angefangenen Brief,
von oben bis unten mit Tintenflecken marmoriert, auf einmal
fertig. Herr Hermann, ihm gegenübersitzend, fuhr fast erschrocken
vom Sitz auf und sagte: „Ei, Jansen, haben wir denn heute St. Veits¬
tag oder seid Ihr, vielleicht zum ersten Male in Euerem Leben,
so früh schon in den Ratskeller geraten und habt von einem spa¬
nischen Fäßlein gekostet?" „Nein, Herr," antwortete Jansen mürrisch,
„aber so gehÜs nimmer; bei uns in Deutschland ist's aus mit dem
Gewinn auf gewöhnlichem Wege bei dem verwetterten Kriege.
Was hilft uns unser großes Schiff, das immer an der Küste wie
eine Schnecke sich hinwindet um uns die sündteuren Waren von
den geizigen MynheernZ aus Holland herbeizuholen? Wir müssen
zwanzigfach bezahlen, was wir einfach aus der ersten Hand haben
könnten von ihren Nachbarn, den Engländern, und in Amerika
selbst. Gebt mir auf ein Jahr das Schiff und so viel Geld und
Nürnberger Waren als möglich und laßt mich nach der Neuen Welt
fahren; Ihr wißt, der alte Jansen war schon zweimal dort und
versteht den Kram. Zwar der alte Herr war auch immer ängstlich
und meinte, es lasse sich ja ohne großes Wagnis schon bei uns etwas
gewinnen; aber das ist nun anders geworden, darum muß rnarüs
anders treiben." Dann standen die beiden Herren auf, gingen im
i) Myn Heer (d. h. mein Herr) ist die bei den Holländern übliche Anrede,
— daher hier als spottende Bezeichnung der ganzen Handelsnation.