74. Aus Friedrich Perthes' Jugendzeit. 101
einem Sonntag, den 9. September 1787, trat der 15 jährige Knabe
allein auf unbedecktem Postwagen die Reise in die Fremde und ins
Leben an. »Abends in Saalfeld bin ich sehr traurig gewesen,« schrieb
«r an seinen Oheim, »aber ich habe auch da viele gute Leute gesehen.«
Im Regen und in scharfer Kälte fuhr er über Neustadt, Gera, Zeitz
und langte am Dienstag den 11. September, nachmittags 3 Uhr, im
Hause seines Lehrherrn an. »Mein Himmel, mein Junge,« rief ihm
dieser entgegen, »du bist ja noch ebenso klein wie voriges Jahr! Nun
wir wollen es miteinander versuchen!« Die Frau seines Lehrherrn und
die Kinder, sechs Töchter und ein kleiner Sohn, sowie ein Lehrling,
der schon vier Jahre im Hause war, nahmen ihn freundlich auf.
»Hier in Leipzig gefällt es mir ganz wohl,« schrieb Perthes unmittel¬
bar nach seiner Ankunft, »und ich hoffe, es wird auch gut gehen,
zumal da mein Kamerad ein recht guter Mensch ist.«
»Hierdurch,« so meldet sein Lehrherr, »habe ich die Ehre zu be¬
richten, dass der junge Perthes gesund und glücklich bei mir ein¬
getroffen ist. Ich hoffe, wir werden wohl miteinander einig werden.
Sein Geld, welches nach hiesigem Kurs 1 Tlr. 20 Gr. beträgt, habe
ich mir einhändigen lassen; denn man weiss nicht, in welche Gesell¬
schaft er etwa geraten könnte. Nun habe ich auch noch eine Bitte
an Sie: Wenn sie mich wieder mit Briefen beehren, so seien Sie so
gut und lassen die Überschrift,Wohlgeboren' fort; denn diese kommt
mir durchaus nicht zu.«
Am Morgen nach der Ankunft waren die ersten Worte: »Friedrich,
du musst die Haare vorne zu einer Bürste, hinten zu einem Zopfe
wachsen lassen und dir ein paar hölzerne Locken anschaffen! Deinen
runden Matrosenhut legst du fort, für dich schickt sich ein dreieckiger.«
Allgemeine Sitte war letzerer nicht mehr; aber Böhme wollte an seinen
Lehrlingen die neuen Moden nicht dulden. »Ohne meine Erlaubnis,«
hiess es weiter, »gehst du weder morgens noch abends aus dem Hause.
Jeden Sonntag begleitest du mich in die Kirche.« Verwöhnt wurden
die beiden Lehrlinge nicht. In der Nikolaistrafse war die Wohnung
ihres Lehrherrn; dort hatten sie vier Treppen hoch eine Kammer inne,
die mit zwei Betten, zwei Stühlen, einem Tische und zwei Koffern so
ausgefüllt war, dass man nur drei Schritte in derselben machen konnte.
Ein einziges kleines Fenster oben an der Decke ging auf Dächer
hinaus; ein kleiner Windofen stand in der Ecke, zu dessen Heizung
an jedem Abend des Winters drei Stückchen Holz gegeben wurden.
Morgens sechs Uhr erhielt jeder der Knaben eine Tasse Tee und
jeden Sonntag im voraus für die kommende Woche sieben Stücke
Zucker und sieben Dreier für Brot. »Was mir am schwersten ankommt,«
schrieb Perthes seinem Schwarzburger Oheim, »ist, dass ich früh nur
eine Dreiersemmel habe; davon werde ich knapp satt. Nachmittags
von eins bis acht bekommen wir keinen Bissen. Da heisst es hungern,