77. Berühmte Männer aus dem Kaufmannstand. 111
finanziellen Interessen Frankreichs ward er unter der Regierung Ludwigs XIV.
zum Finanzkontrolleur ernannt und hieraus Generalkontrolleur des französi¬
schen Finanzwesens. In dieser seiner Eigenschaft als Finanzminister hat er
bahnbrechend für die französische Volkswirtschaft und Handelspolitik gewirkt.
Er war stets aus die weitgehendste Förderung der Industrie und des Handels
seines Landes bedacht, wie er auch alle Maßregeln zur Anwendung brachte,
von denen er sich eine Förderung der französischen Staatsverwaltung ver¬
sprach. Doch neigte er zu viel den damals herrschenden merkantilischen An¬
schauungen zu, die seinem Verwaltungssystem viele Feinde schuf; insbesondere
war die Landbevölkerung gegen seine übermäßige Begünstigung von Handel
und Industrie eingenommen. So verschiedenartig die Urteile über Colberts
Wirken sein mögen, jedenfalls ist seine Handelspolitik grundlegend für die
spätere Entwicklung der französischen Volkswirtschaft geworden, so daß Frank¬
reich alle Ursache hat, des ehemaligen Handlungsgehilfen aus Reims mit
Stolz zu gedenken.
Ein anderer französischer Handlungsgehilfe, dessen Name für die Ge¬
schichte der Volkswirtschaft bedeutungsvoll wurde, ist Fourier (1772 bis 1837).
Als Sohn eines Buchhändlers widmete er sich auch dem Kaufmannsberuf
und eröffnete 1793 in Lyon ein Materialwarengeschäft. Seinem Berufe blieb
Fourier in allen Wechselfällen seines sturmvollen Lehens treu.
Einen Gegensatz zu ihm bildet sein Landsmann Bastiat (1801 bis 1850),
der gleichfalls dem Kaufmannstand angehörte und als Nationalökonom den
Sozialismus bekämpfte. Er war als Freund des englischen Nationalökonvmen
Cobden der eifrigste Vertreter des Freihändlertums und Bekämpser des
Schutzzolles.
Ein hervorragender Nationalökonom, der auch ursprünglich Geschäftsmann
war, ist der englische Bankier Ricard o (1772 bis 1822); er hat in der Ge¬
schichte der politischen Ökonomie eine bedeutende Rolle gespielt.
Dagegen hat der englische Bankier George Grote (1794 bis 1871)
auf dem Gebiete der Geschichtschreibung Großes geleistet. (Geschichte von
Griechenland.)
Ein anderer englischer Historiker von Weltruf, der gleichfalls ursprüng¬
lich Kaufmann gewesen ist, nämlich Thomas Buckle (1822 bis 1862), der
berühmte Verfasser der „Geschichte der Zivilisation von England", hat der
neueren Geschichtsforschung ganz neue Bahnen geöffnet. Buckle hat den
nachhaltigsten Einfluß auf die spätere Geschichtschreibung ausgeübt. Seine
Zivilisationsgeschichte fand die weiteste Verbreitung.
Die neueste Zeit hat zwei berühmte Männer aufzuweisen, von denen
der eine Kaufmannslehrling, der andere selbständiger Kaufmann gewesen ist,
nämlich die beiden deutschen Gelehrten Gervinns und Schliemann. Wie es
der ehemalige Kaufmannslehrling Gervinus zum berühmten Geschichtschreiber
und der ehemalige Kaufmann Schliemann zum berühmten Altertumsforscher
brachten, ist ebenso bekannt als lehrreich.
Ehe sich Georg Gottfried Gervinus (1805 bis 1871) aus Darm-
stadt dem gelehrten Berufe zuwendete, war er Lehrling in einer Buchhand¬
lung zu Bonn, dann in einer Tuchhandlung in seiner Vaterstadt. Er ge¬
hörte also einige Jahre als Lehrling dem Kaufmannstand an, woran sich
der später berühmt gewordene Geschichtschreiber und Philologe Gervinus
gern erinnerte. Als Kausmannslehrling erhielt er seine ersten Eindrücke,
deren Ursprünglichkeit er niemals verleugnete. Seine großartig angelegte
Geschichte des 19. Jahrhunderts läßt ihn als einen unerreichten Meister der
Lebensschilderung seiner Zeit erscheinen. (S. N. 136.)