Full text: Deutsches Lesebuch für kaufmännische Fortbildungsschulen und verwandte Anstalten

94. Beispiele von Landesverfassungen. 
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durch welche die Grundsätze aufgestellt werden, nach denen ein Land regiert 
wird. Die sächsische Verfassung erließ König Anton am 4. September 1831, 
als er seinen Neffen Friedrich August zum Mitregenten annahm. Bayern bekam 
seine Verfassung schon durch König Maximilian I. am 26. Mai 1818. Doch 
hat dieselbe 1848 und 1871 verschiedene wichtige Veränderungen erfahren. Die 
wichtigsten Bestimmungen der bayerischen Verfassung, die sich in den wesent- 
lichen Zügen mit denen der meisten deutschen Staaten deckt, sind folgende: 
Der König ist das souveräne oder unabhängige Oberhaupt des Staates. 
Seine Person ist heilig und unverletzlich. Die Krone ist nach dem Rechte 
der Erstgeburt im Mannesstamme des Hauses Wittelsbach erblich. Ist dev 
König verhindert selbst die Regierungsgewalt auszuüben, so geht diese an 
den nächstberechtigten Verwandten (Prinzregenten) über. Der König oder 
dessen Stellvertreter kann nur über sein Privatvermögen verfügen, während 
das Krongut mit dem Lande unzertrennlich verbunden ist. Zur Bestreitung 
des gesamten Hofhaltes bezieht der König aus den Staatskassen eine Zivil¬ 
liste; die Mitglieder des Königlichen Hauses erhalten Apanagen. 
Der König selbst kann kein Gesetz erlassen; doch bekommen alle Gesetze 
erst durch seine Unterschrift Gültigkeit und ergehen alle Urteile und alle Ver¬ 
fügungen der Behörden in seinem Namen. Zu allen Gesetzen, zur Festsetzung 
der Steuern, zur Aufnahme und Tilgung von Staatsschulden und anderen An¬ 
gelegenheiten ist die Beratung und Zustimmung der Volksvertretung erforderlich. 
Die Volksvertretung (Landtag, Ständeversammlung) besteht aus 
der Kammer der Reichsräte und der Kammer der Abgeordneten. Der Kammer 
der Reichsräte gehören an: die Prinzen des Königlichen Hauses, die Kron- 
beamten, die Häupter der ehemaligen reichsständischen Adelsfamilien, hohe 
geistliche Würdenträger und die vom Staatsoberhaupt ernannten erblichen 
oder lebenslänglichen Mitglieder. Die Abgeordneten werden alle 6 Jahre 
aus der Reihe der Staatsbürger vom Volke durch indirekte Wahlen gewählt. 
Der Landtag selbst wird in der Regel alle 2 Jahre einberufen; jedesmal 
muß dann den Ständen das Budget, d. h. der Voranschlag über den Staats¬ 
haushalt an Einnahmen und Ausgaben, vorgelegt werden. 
Während die beiden Kammern über die Angelegenheiten des ganzen Landes 
beraten, beschließt der Land rat alljährlich am Sitze der Kreisregierung über 
die Angelegenheiten des Kreises und der Distriktsrat über die eines Distriktes. 
Seit dem 18. Januar 1871 ist Bayern als der zweitgrößte Bundesstaat 
ein Glied des Deutschen Reiches, dessen Oberhaupt der König von Preußen 
als Deutscher Kaiser ist. An der Regelung der für das ganze Reich gemein¬ 
schaftlichen Angelegenheiten nimmt Bayern teil durch die Vertreter seiner Re¬ 
gierung im Bundesrat (mit 6 Stimmen) und durch die vom Volke gewählten 
Abgeordneten im Reichstag. 
Die Leitung des Staatswesens und damit der Vollzug der Gesetze ist 
dem Gesamt staatsmini st erium übertragen. Die Vorstände der ver¬ 
schiedenen Ministerien, die Staatsminister, werden wie alle Beamten vom 
König ernannt und sind diesem für ihre Handlungen verantwortliche Das 
Gesamtstaatsministerium verhandelt mit den Ständen, begutachtet die Gesetze, 
berät sich über die Einnahmen und Ausgaben des Staates und in Ver¬ 
bindung mit dem Staatsrat über alle wichtigen Landesangelegenheiten, soweit 
sie nicht in den Geschäftskreis eines einzelnen Ministeriums einschlägig sind. 
^Zum Wirkungskreis des Ministeriums des Kgl. Hauses und des 
Äußeren gehören die Angelegenheiten des Kgl. Hauses und Hofes, die 
Beziehungen des Staates nach außen, die Oberaufsicht über Handel, Industrie 
und Gewerbe sowie die Förderung aller bezüglichen Interessen, besonders der 
Vollzug der Reichsgewerbeordnung, die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte, ferner 
die Aussicht über das Münz- und Börsenwesen sowie über das Bergwesen.
	        
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