Full text: Deutsches Lesebuch für kaufmännische Fortbildungsschulen und verwandte Anstalten

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133. Die Kaufmannsgerichte. 
fuchung hierzu oft so groß, daß ein hoher Grad von Redlichkeit dazu 
gehört ihr zu widerstehen. Der Umstand, daß bei solchen Veranlassungen 
die Mehrzahl ihr erliegt, wirkt verderbend weiter und läßt das Gefühl 
der Scham leider nicht selten ganz verstummen. Es ist dies namentlich 
in allgemeinen Katastrophen der Fall, welche Entwertung der Staats¬ 
papiere, Sturz der Banken und der Aktiengesellschaften nach sich ziehen. 
Eine derartige Notlage erzeugte zu Anfang des 18. Jahrhunderts in 
England ein ganz abenteuerliches Börfenspiel. Es war eine Art Trunken¬ 
heit, ein moralischer Schwindel, der sich der Spekulanten bemächtigt 
hatte und der mit dem Ruin von Tausenden endete. Von gleich ver¬ 
derblicher Wirkung war das Gründungsfieber in den siebziger Jahren 
des 19. Jahrhunderts. 
Der Kaufmann soll wahr sein. Lüge und Verstellung als Mittel 
der Täuschung zur Erlangung eines Gewinnes zu benutzen, ist unzweifel¬ 
haft eme der größten Unsittlichkeiten. Soll er deshalb das Herz auf 
der Zunge tragen und unter allen Umständen das ihm Bekannte mit¬ 
teilen? Gewiß nicht. So wenig dies ihm Leben überhaupt an der Stelle 
wäre, so wenig wäre es das im Geschüftsleben. Ja, es könnte unend¬ 
licher Schaden durch unbedachte Mitteilung und Ausbreitung gewisser 
Tatsachen nicht nur ihm selbst sondern vielen anderen erwachsen. Der 
Kaufmann kann unter gewissen Umstünden nicht ganz offen sich äußern; 
aber niemand kann und wird es auch verlangen in Angelegenheiten 
des Geschäftes, welche Vorsicht nach allen Seiten erheischen. Wenn 
dagegen absichtlich Verstellung geübt, wenn durch Andeutung oder ent¬ 
schiedenen Ausspruch im Zweiten eine Überzeugung herbeigeführt wird, 
die ihn zu Maßregeln bestimmt, welche eben im Interesse des Ersten 
liegen, so kann dies nicht scharf genug verdammt werden. 
Redlichkeit ist also die Haupttugend des Kaufmanns und dies gilt 
sowohl in seinem Verkehre mit dem Staate wie mit den Fachgenossen 
und den Kunden. Noback, 
133. Die Kaufmannsgerichte. 
Mit dem 1. Januar 1905 trat das Reichsgesetz vom 6. Juli 1904 
betreffend die Kaufmannsgerichte in Kraft. Wie das Gewerbe¬ 
gerichtsgesetz für den gewerblichen Arbeiter, so wurden die 
Kaufmannsgerichte für den Handlungsgehilfen und Handlungs¬ 
lehrling geschaffen. Dieses neue Standesgericht soll die Streitig¬ 
keiten aus dem Dienstverhältnis zwischen Prinzipal und Ange¬ 
stellten in einem einfachen, schleunigen und billigen Prozeßver¬ 
fahren zum Austrag bringen und so zum sozialen Frieden beitragen. 
Dieses kaufmännische Sondergericht lehnt sich an das Ge¬ 
werbegericht an und ist ohne Rücksicht auf den Wert des Streit-
	        
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