Full text: Deutsches Lesebuch für kaufmännische Fortbildungsschulen und verwandte Anstalten

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32. Sei bescheiden! 
bücken musste um nicht an den Querbalken zu stossen. Franklin 
sprach während des Fortgehens mit seinem leutseligen Führer 
und sah daher nicht aufmerksam vor sich hin. — »Gebückt! 
Gebückt!« rief auf einmal der Prediger; aber in dem Augenblicke 
fühlte schon Franklin den Balken an der Stirne. »Merk’ Er sich 
den kleinen Unfall!« sagte der Prediger. »Er ist jung und hat 
die Welt vor sich. Bück’ Er sich auf dem Weg und Er wird 
sich manchen harten Puff ersparen.« 
Diese Lehre machte auf den jungen Franklin einen so tiefen 
Eindruck, dass er sich ihrer in einem Alter von 79 Jahren noch 
erinnerte und die Geschichte einem Sohne des erwähnten 
Predigers erzählte, indem er hinzusetzte: »Dieser gute Rat Ihres 
seligen Vaters, so in Kopf und Herz eingeprägt, ist mir ungemein 
nützlich gewesen und noch jetzt fällt er mir gewöhnlich ein, 
wenn ich sehe, wie der Hochmut so oft gedemütigt wird und 
wie so mancher sich unglücklich macht, weil er die Nase zu 
hoch trägt.« Franklin. 
32. Sei bescheiden! 
Demut, diese schöuste Tugend, 
Ziert das Alter wie die Jugend. Castem. 
Bescheidenheit, ein Schmuck des Mannes, steht jedem fein. 
Wenn jemand bescheiden bleibt, nicht beim Lobe, sondern beim 
Tadel, dann ist er's. Jean Paul. 
Wer sein Meister ist und sich beherrschen kann, 
Dem ist die ganze Welt und alles untertan. Fleming. 
Bescheidenheit ist eine Tugend, welche jedem Alter, jedem Stand 
Anmut verleiht; ganz besonders aber gereicht sie der Jugend zur schönsten 
Zierde. Nichts ist unschöner und abstoßender als Anmaßung und Un¬ 
bescheidenheit; es sind das immer die Zeichen eines rohen Charakters, 
eines wenig gebildeten Verstandes. Mit Ekel wenden wir uns von dem 
Emporkömmling ab, der sich seiner Abkunft schämt und mit Hochmut 
auf die unter ihm Stehenden schaut. Wohltuend wirkt aber die ent¬ 
gegengesetzte Handlungsweise; hiervon ein Beispiel! 
Der frühere Erzbischof von Bamberg, Michael v. Deinlein, stammte 
von armen, einfachen Bauersleuten ab. Infolge seines ausdauernden 
Fleißes, seiner hervorragenden Begabung und seines streng sittlichen 
Lebens aber gelang es ihm, sich zu der so hohen Würde emporzu¬
	        
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