240
darüber empört, daß der König von England die auf einem eroberten
Thurme aufgepflanzte Fahne des Herzogs Leopold von Oesterreich
herabgerissen und in den Koth getreten, hatten schon früher das Kreuzheer
verlassen. Zwischen Richard und Saladin, welche durch gleiche Ritterlich¬
keit, Tapferkeit und Kühnheit zu einander hingezogen, aber durch die Re¬
ligion, die sie bekannten, und durch die Macht der Geschichte, die zwischen
ihnen stand, von einander abgestoßen wurden, entstand ein wunderbarer
Wetteifer in Thaten der Kühnheit und Großmuth. Schon sah sich Richard
im Besitz der Seestädte von Tyrus bis Joppe und schon schien auch ' die
heilige Stadt selbst seinen wohlangelegten Plänen nicht entgehen zu können,
als er von den Kreuzrittern nicht mehr gehörig unterstützt und durch Nach¬
richten aus England zur Heimkehr bewogen wurde (1192). Zuvor schloß
er noch mit Saladin einen Waffenstillstand aus drei Jahre, kraft dessen
alle Pilger ungehindert zum heiligen Grabe wallfahrten konnten, und trat
die von ihm eroberte Insel Cypern an den unglücklichen Veit von Lusignan
ab. Saladin jedoch starb schon im folgenden Jahre (1193).
Auf seiner Rückreise aus Palästina litt Richard zwischen Venedig und
Aguileja Schiffbruch, setzte verkleidet und unter großen Gefahren, die Reise
zu Lande fort und fiel zu Wien, wo er sich durch einen kostbaren Ring
verrieth, in die Hände seines Feindes, des Herzogs Leopold von Oester¬
reich. Hier auf Schloß Löwenstein soll, nach einer unverbürgten Sage,
den königlichen Gefangenen sein treuer Diener und Musikmeister Blondel,
der ihn aufzusuchen das gelobte Land und Deutschland durchwanderte, durch
Anstimmung eines französischen Liedes entdeckt und zu seiner Befreiung bei¬
getragen haben. Gewiß ist, daß Herzog Leopold ihn an Kaiser Heinrich VI.
ausliefern mußte, der ihn in Worms gefangen hielt und erst nach 13 Mo¬
naten (1194) gegen ein Lösegeld von 100,000 Mark wieder freigab.
§ 61. Johann ohne Land, König von England, beschwört die
Magna Charta, d. h. den großen Freiheitsbrief der Engländer
(1215).
Mit König Heinrich II., dessen wir oben schon erwähnt haben, kam
das Haus Plantagenet auf den englischen Königsthron, welches in
männlicher Nachkommenschaft über drei Jahrhunderte im Besitz desselben
blieb. Heinrich I. nämlich, Wilhelm's des Eroberers dritter Sohn, starb
1135 ohne rechtmäßige männliche Nachkommenschaft. Seine Tochter Ma¬
thilde war vermählt mit Gottfried, Grafen von Anjou, genannt Plan ta¬
gen et, von der Gewohnheit, einen blühenden Ginsterzweig (plante de ge¬
nêt) an seinen Helm zu stecken. Mathildens Sohn Heinrich Plantagenet
besaß von seinem Vater Anjou, Touraine und Maine; durch seine Mutter
war er Erbe des englischen Throns, durch feine Gemahlin Eleonore erwarb
er dazu die Gascogne, Guyenne und Poitou; späterhin gewann er auch
noch die Bretagne. So besaß König Heinrich II. von England (seit 1154)
in Frankreich selbst noch einmal so viel Land, als sein Lehensherr, der
König von Frankreich. Dies ward eine Ursache zu langwierigen Kriegen
zwischen England und Frankreich. Auch der kräftige und weitgebietende
Heinrich II. von England, welcher die englische Kirche bis auf Glauben